Ein verhängnisvoller Sonntagsschmaus

von 22 matilda  

Letzten Sonntag wollte meine Gastmutter eine schmackhafte "Olla de carne" kochen. Da wir aktuell 9 junge Hähne haben, die sich ständig am Kappeln sind und mich jeden Morgen schon um 3Uhr, mit ihrem lautstarken Gekrähe aus dem Bett holen, bot es sich geradezu an, einen von ihnen für den Eintopf zu schlachten.

Der erste Hahn, den wir eingefangen hatten und in einem kleinen Käfig hielten, roch wohl den Braten: sobald wir ihn einen Moment aus dem Auge gelassen hatten, nahm er Reißaus und tauchte in der großen Hühnerschar unter!

Mein Gastvater schnappte sich kurzerhand einen anderen Hahn, welcher daraufhin hysterisch aufschrie und wild mit den Flügeln herumschlug. Dem armen Tier wurden zunächst die Läufe gefesselt und er wurde kopfüber an einem Baum aufgehängt.

Nun kam ich an die Reihe, meine Gastfamilie hatte mich irgendwie dazuzubekommen, den Akt der Schlachtung zu übernehmen. Ich packte den Hahn also mit einer Hand am Hals und sollte ihm einen sauberen Kehlschnitt verpassen. Der Hahn wurde plötzlich ganz ruhig und schaute mich schreckerfüllt an. In seinen runden, schwarzen Augen konnte ich die Todesangst erkennen, er wusste natürlich genau welches Unheil ihm bevorstand.

Auf dem Feuer kochte bereits das Wasser in einem riesengroßen, eisernen Topf. Alles war bereits für seinen Tod vorbereitet, oder sollte ich eher sagen, für unsere deftige Hühnersuppe?

Und dann überwand ich mich und vollbrachte den todbringenden Schnitt. Der Hahn baute sich noch einmal in heller Aufruhr auf, schlug seine Flügel hysterisch über dem Kopf zusammen und schrie herzzerreißend. Helles, rotes Blut spritzte bereits mit voller Kraft aus der Schnittstelle. Ich war völlig baff und trat noch nicht mal zurück, bemerkte kaum, wie mir das Blut mein ganzes Handgelenk herunterlief.

Ab jetzt ging alles ganz schnell. Mein Gastbruder entschnürte die Läufe mit geübter Hand, steckte das tote Tier in einen Eimer und übergoss es mit siedend heißem Wasser. Im nächsten Schritt zogen wir ihm die Federn aus der Haut, was durch das heiße Wasser eine Leichtigkeit geworden war und ließen ihn splitternackt in der Spüle zurück.

In der Feuerstelle loderte das Feuer noch immer und meine Gastmutter verbrannte die letzten Härchen des Tieres über den Flammen. Das ganze fühlte sich wie ein teuflischer Akt an und gleichzeitig war es doch das normalste der Welt. Die Menschen machen genau das schon seit tausenden von Jahren.
Meine Uroma lernte schon als kleines Mädchen wie man Hühner, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, umzulegen hat. Es gehörte quasi zum Alltag.

Für mich war es dagegen DAS Ereignis des Tages. Ich bin froh, dass ich den Mut dazu aufbringen konnte. Meiner Meinung nach sollte eigentlich jeder fleischessende Mensch dazu in der Lage sein, solch ein Tier umzubringen, um das Verhältnis zwischen dem Tier als Lebewesen und dem Fleisch, als Konsumprodukt nicht zu verdrängen. Heutzutage kauft sich nun mal jedermann im Supermarkt um die Ecke ein Stück Fleisch, ohne auch nur den geringsten Gedanken an den ehemaligen Besitzer, einem Lebewesen mit Gefühlen und allen grundlegenden Lebensbedürfnissen, zu verlieren.

Unseren Hahn haben wir letztendlich ausgenommen und das frische, hellrosa Fleisch gewaschen. Mit der Zeit verlor ich immer mehr die Hemmungen, da sich das Tier schon so weit von seiner ursprünglichen Form entfernt hatte, dass ich kaum noch an den glücklich durch den Garten springenden Hahn denken musste.

Eine halbe Stunde später zog bereits der deftige Geruch von Hühnersuppe durch's ganze Haus. Auch ich aß zu guter Letzt vom Hühnerfleisch in der Suppe, wenn auch mit einem etwas beklemmenden Gefühl in der Brust.

BlogNo:05

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