Unter Vogelscheiße begraben

Am Strand vor der Abfahrt
Mit dem Blick auf diese Insel wache ich jeden Morgen auf - eine von vielen kleinen grünen Perlen inmitten der sanften Wogen des Golfes von Nicoya. Es ist eine unscheinbare Insel - gerade mal 200 m lang und 50 m breit. Doch diese kleine Insel im Schatten des Hafens von Punta Morales hat eine Geschichte zu erzählen. Von Glanz und Glämmer, Zerstörung und Neuaufbau.
Pünktlich kurz nach 9 Uhr sitzen Tree und ich vor Daylas Haus und warten darauf, dass es losgeht. Aber wie es nun einmal in Costa Rica ist, ticken die Uhren hier etwas anderes - "Hora tico" heißt auch, dass man es hier mit den Uhrzeiten nicht sooo genau nimmt. Und so sitzen wir hier unter Kokospalmen zwischen Fischerhütten mit Blick auf den Golf, um uns gefühlt 10 neugierige Straßenhunde. Grad ist Ebbe. Am Strand streiten sich Rabengeier und Straßenhunde um die wenigen Fische, die die Fischer hier am Vortag liegen lassen haben.
Dayla, die Organisatorin der Trips zur Insel steht weitentfernt mit ihren Kindern am Strand und sammelt Wattwürmer, Köder fürs Fischen. Fischen gefällt den Leuten immer. "Die Leute", dass sind heute etwa 30 Leute aus den Großstädten des Valle Central, die mit uns zusammen zur Insel fahren möchten und sie "saubermachen" wollen zusammen mit uns beiden Freiwilligen und Daylas Familie.

Angekommen: Strand der Isla Echandi
Etwa um 10 kommen sie dann an. Es sind Leute jeden Alters, jung und alt, dünn und dick, alle eingepackt in lange Kleidung gegen die starke Sonne und hochmotiviert.
Nach einer kurzen Ansprache geht´s dann auch los. Die Gruppe wird aufgeteilt für zwei Überfahrten mit dem kleinen Fischerboot von Daylas Bruder. Wir sind in der ersten Gruppe. Für uns ist es das zweite Mal auf der Insel, aber dieses Mal ist es anders irgendwie. Es fühlt sich größer an. Die Kinder von Dayla kennen uns schon und plappern munter zu uns auf Spanisch drauf los, erklären uns welche Vogelart grad vorbeigeflogen ist, wie aufgeregt sie sind, weil so viele Leute das sind.
Nach ca. 15 Minuten kommen wir auf der Insel an. Diesmal ist der Himmel klar und tiefblau. Reinstes Kaiserwetter, wie man zuhause in Deutschland sagen würde. Dadurch wirkt die Insel zwar nicht ganz so düster wie beim ersten Mal, aber die Sache, die einem zuerst auffällt bleibt gleich - alles ist weiß!

Einige Fundamente sind noch erhalten
Das Laub auf dem Boden, die Mauerreste der Ruinen, die Äste und Stämme der Bäume - einfach alles ist mit einer weißen Schicht bedeckt. Diese weiße Schicht ist keine Asche - wir sind schließlich nicht in Pompeii - sondern Vogelscheiße. Die Vögel selbst sind auch allgegenwärtig - überall in den Bäumen sitzen sie zu Dutzenden, Pelikane wie Fregattvögel. Und scheißen alles voll. Trotzdem umfängt mich wieder diesselbe Atmossphäre wie beim ersten Mal - die Ruhe, die scheinbare Abgeschiedenheit und die vielen überwucherten Mauerreste wecken meinen Entdeckergeist.
Nachdem alle da und versammelt sind - einige sind direkt losgerannt um mit Rechen und Macheten die Ruinen weiterfreizulegen - hält Dayla eine kurze Ansprache und teilt uns in Gruppen ein. Dabei umreißt sie auch den Plan, den sie und ein paar weitere Leute aus dem Dorf, die am Projekt beteiligt sind, haben - es soll ein kleines zweites San Lucas werden, nur in "light" - die Insel soll zu einem echten Ausflugsziel werden, wenn man will soll sogar Campen möglich sein. Mehr Leute sollen von der Geschichte dieses Ortes erfahren können.

Weitere Ruinenüberbleibsel
Man nennt die Insel Echandi hier in der Gegend auch die Insel des Präsidenten. Ihren Namen hat das kleine Eiland nicht von irgendwo: die mit Vogelscheiße "dekorierten" Mauerreste sind Überreste der Villa von Manuel Echandi Jimenez, Expräsident Costa Ricas von 1958-62. Hier hatte er seinen privaten Rückzugsort mit mehreren Pools, zweistöckigem Haupthaus und allem, was einem Präsident eben so gebührt. Vor 30 Jahren wurde die Insel sowohl vom Präsidenten mitsamt seinem Haushalt verlassen. Und die lokale Bevölkerung nutzte die Villa als Steinbruch - heute scheint als wäre es hunderte Jahre her, als hier noch jemand anderes außer den Vögeln gewohnt hat - und spann sich eigene Geschichten und Mythen über den Grund, die Insel so plötzlich zu verlassen, dass die ganze Ausstattung zurückgelassen wurde. Alles dies verstärkt die mysteriöse Atmosphäre der Insel.

Putzaktion Gruppenarbeit
Wir teilen uns in Gruppen auf und beginnen die Ruinen rund um das Haupthaus weiter freizulegen von Laub, Gebüsch und Vogelscheiße. Alle sind hochmotiviert trotz der Hitze und in kurzer Zeit sieht kann man schon einiges mehr von den Ausmaßen der Anlagen der Villa des ehemaligen Präsidenten Costa Ricas erfahren.
Am frühen Nachmittag wird es auf der Insel gemächlicher. Alle sitzen fröhlich zusammen und verspeisen zusammen das einfache, aber stärkende Mittagessen. Jemand beginnt Cumbia über eine Musikbox abzuspielen. Ich lerne ein Paar aus Cartago kennen, dessen Tochter in Leipzig wohnt und witzel mit ihnen über kulturelle Unterschiede zwischen hier und dort. Ein paar arbeiten nach dem Essen tatkräftig weiter, bei einigen hat die Motivation schon etwas abgenommen.

das war einmal das Haupthaus
Zusammen mit Daylas Kindern gehen Tree und ich runter zum Strand - wenige Minuten später stehen wir bis zur Hüfte im tropisch-warmen Wasser und versuchen, mit den Rollen mit Angelschnur Fischer zu fangen, leider erfolglos. Währenddessen steigt die Flut weiter an und bald ist der ganze Strand im Meer versunken.
Wir müssen zurückwaten und beschließen am Anleger, einfach noch eine Runde zu schwimmen, begleitet von Kendrick Lamar, der aus der Bluetoothbox von Badegästen aus San José rüber schallt. So unbekannt ist die Isla Echandi dann wohl doch nicht.
Schon kurz danach machen wir uns auf den Rückweg nach Costa de Pajaros. Ich sitz vorne am Heck und schaue auf die Küstenlinie. Im Vordergrund Hügel, Ebenen und Mangroven, im Hintergrund grüßen die Berge der Cordillera de Tilarán. Ich dreh mich um und sehe in viele glückliche Gesichter, überzeugt davon, heute einen kleinen Beitrag für die Zukunft der Isla Echandi geleistet zu haben.
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