„Hola! Vamos a jugar!“

von gustav_11  

Wie oft ich diesen Satz jetzt schon gehört habe, kann ich nicht mehr sagen. Morgens wenn ich aufwache ist er das erste und abends wenn ich zu Bett gehe das letzte, das ich höre. Er kommt aus einer kleinen Plastikkiste, die anscheinend das ein und alles meiner kleinen Gastschwester ist.

Gefolgt wird dieser Satz von blinkenden Lämpchen und einer „lustigen“ Glockenspielmelodie, wobei die scheppernden Boxen mich an das Trommeln auf Mülltonnen erinnern.

Der Kasten ist ein so genanntes „Alphabeten-Keyboard“ und ist laut Werbung das hervorragende Instrument schon Kleinkindern Lesen, Rechnen und Schreiben beizubringen. Er besteht aus jeder Menge bunten Knöpfen, auf denen alle Buchstaben mit einem jeweils passenden Begriff und die Zahlen 1-10 abgebildet sind. Dieses Wunderwerk der modernen Technik kann sogar in der Sprache variieren, denn durch das betätigen eines kleinen Kippschalters ertönt statt dem bekannten Anfangssatz ein überdrehtes „Hi! Let´s play!“ und danach die verhasste „Melodie“.

Die erste Lektion besteht darin, das E wie Elephante zu finden. Meine kleine Gastschwester jedoch scheint ihre Freude daran zu haben, den lieben langen Tag alle Tasten außer das E zu drücken, um jedes Mal mit einem fröhlichen „Versuche es noch einmal!“ und weiterem Geklimpere belohnt zu werden. Auch das An- und Ausschalten des Geräts scheint ihr neuer Lieblingssport zu sein und fröhlich durch den Raum hüpfend hört sie sich wieder und wieder die Einstiegssequenz an.

Die einzige Pause dieser Folter ist mir nur gegönnt wenn der Fernseher eingeschaltet wird, wobei sich auch hier das Repertoire auf die immer drei gleichen Filme beschränkt.

Der Trend zum elektronischen Spielzeug ist unaufhaltsam, bietet er doch den Komfort, das Kind alleine lassen zu können und die Kommunikation auf ein Minimum zu beschränken. Das übernimmt nun nämlich fortan der Kasten oder eben der Fernseher, der mit „Kindgerechten“ Sendungen den Horizont unserer Schützlinge erweitert, ohne dass wir uns um mehr kümmern müssen.

Ich erinnere mich an meine Kindheit, die noch nicht allzu lange her ist und ich erinnere mich an die riesigen Phantasiewelten, die wir uns aufgebaut haben, mit Bauklötzen oder oft auch einfach Stöcken und Steinen, die wir auf dem Spielplatz fanden. Einen Gameboy habe ich nie besessen und auch einen Fernseher hat es in unserem Haus nie gegeben. Wir waren gezwungen uns selber die phantastischen Welten aufzubauen, die wir aus Träumen oder manchmal auch Büchern kannten. Kuscheltiere und Legomännchen wurden zu lebendigen Mitspielern und wir konnten Stunden damit verbringen, imaginäre Abenteuer zu erleben und zu überstehen.

Diese Art der Kreativität konnte ich auch im Indianerdorf aufs neue Beobachten, wo die Kinder in die schlichtesten Sachen etwas hineininterpretierten und schnell mit verträumten Augen in ferne Welten abschweiften, aus denen man sie nur ungern wieder zurückholte. Verwöhnte Kinder sind in diesem Dorf ein Fremdwort, denn kaum eines von ihnen besitzt auch nur eine Spielzeugfigur oder ein Kuscheltier. Gespielt wird hier mit den Geschwistern und Nachbarskindern, was auch noch den erfreulichen Effekt hat, dass immer jemand älteres dabei ist und aufpassen kann, dass keine Dummheiten gemacht werden. Die Kinder dort erscheinen mir so viel offener und gewitzter und ich vermute mal, dass so eine Kindheit sehr viel aufregender und erfüllender ist, als die, die zum Großteil vor dem Fernseher verbracht wird. An dieses Szenario denkend schleiche ich mich in einer Nacht und Nebel Aktion raus und ersetze die Batterien im Alphabeten-Keyboard durch leere. Am nächsten Tag stelle ich befriedigt fest, dass meine kleine Gastschwester fröhlich mit den Mangos in der Küche spielt und das ewige Geklimpere nicht zu vermissen scheint … und ich erlebe zum ersten Mal einen Tag, an dem mich die Worte: „Hola! Vamos a jugar!“ nicht mehr in den Wahnsinn treiben.

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