Über costaricanische Gastfreundschaft und Kulturtücken

von jana_12  

Wochenende. Während meine Freunde in Deutschland auf diversen Parties oder in unseren Lieblingsbars die Winterkälte verdrängen, ob mit Tanzen oder Hochprozentigem oder vielleicht sogar Glühwein, stapfe ich unter einer gnadenlosen Sonne die Berge von Londres hinauf. Ich bin mit meinem Mitbewohner Russel aus Kanada auf dem Weg in ein kleines Dorf namens San Isidro.

Während wir uns die Abhänge hinaufschieben, läuft mir der Schweiß die Schläfen und den Nacken hinunter. Der Weg ist übersäht mit Kieseln, die, auseinander geplatzt durch Verwitterung, eine beeindruckende Vielfalt an Formen und Farben präsentieren. Wenn ich in die Ferne schaue, überblicke ich bewaldete Hügel in allen vorstellbaren Schattierungen von saftigem lebendigem Grün. San Isidro, ein Namensvetter des größeren Ortes weiter östlich, liegt ca. 12 km entfernt von Londres, wo wir starteten. Wieviele Höhenmeter vor uns liegen, wissen wir nicht, aber Russel ist diesen Weg schon gewandert und beschreibt ihn als 'Herausforderung'. Den weit aufgerissenen Augen nach zu urteilen sehen auch die Leute, denen wir auf dem Weg erzählen, wohin wir wandern, unser Vorhaben als eine Herausforderung. Tatsächlich entpuppt sich dieser Ausflug zu einem der schönsten, die ich bisher in Costa Rica erlebt habe.

Russel kennt von seinem letzten Ausflug nach San Isidro eine Familie, die uns ein Dach über dem Kopf und eine Küche zum Kochen bieten kann. Um nicht von den Öffnungszeiten und den durch die abgelegene Lage überteuerten Preisen der kleinen Pulperia, die es dort oben geben soll, abzuhängen, tragen wir allerhand Essen mit uns, wie Linsen, Reis, Gemüse, Gewürze, Orangen und Haferflocken. Dass wir kommen, weiß niemand, denn telefonisch konnten wir vorher niemanden erreichen. Doch die Hauptsache ist, einen Schutz vor Regen in der Nacht zu haben, und dafür reicht uns auch ein überstehendes Dach.

Auf dem Weg nach oben eröffnen sich mir ganz neue Landschaftsbilder, die ich versuche, so gut es geht, festzuhalten, doch kein Foto kann die Intensität der grünen Wälder und leuchtenden Blüten so wiedergeben, wie sie uns entgegenblickt. Wir sprechen nicht viel auf dem Weg, lassen uns überwältigen von den Eindrücken und der Hitze.

Nach einigen Stunden erreichen wir ein kleines Haus am Straßenrand und treten ein durchs Gartentor. Russel hat mir von den Korbflechtern erzählt, die hier wohnen und ihre Kunstwerke verkaufen. Man muss Möbel, Körbe und Figuren vorbestellen und abholen, denn ein Geschäft gibt es nicht. Doch die beiden jungen Flechterinnen haben sich in der Umgebung einen Namen gemacht. Es ist mir etwas unangenehm, in diesen fremden Garten einzutreten, ohne eine Antwort auf unser 'upe!' (bedeutet so etwas wie 'Hallo, darf ich eintreten'?) zu erhalten. Von der Terasse aus blicken uns zwei Frauen mit eisernen Mienen entgegen. Ich fühle mich wie ein Eindringling, aber der in dieser Beziehung häufig schmerzfreie Russel schlendert ihnen ohne Scheu fröhlich plappernd entgegen. In diesem Moment frage ich mich, ob es eine gute Idee war, mir ihm loszuziehen. Ohne Lächeln werden wir argwöhnisch beäugt.

Auf unsere Fragen, ob wir etwas über das Flechten lernen und helfen können, erhalten wir keine oder einsilbige Antworten und ich rede mir im Stillen ein, diese Reaktion mit Schüchternheit erklären zu können. Tatsächlich schrumpft die Distanz bald, was vielleicht mit unserem mitgebrachten selbstgebackenem Bananenbrot zusammenhängt das wir verteilen, und schließlich sitzen wir mit Messern und Lianen versehen und auf der Terasse und schnitzen neue Stränge, die in die Körbe eingeflochten werden können. Ja, alle Zweige werden aus langen, sehr flexiblen Lianen einer bestimmten Art gewonnen, die die Frauen im Wald sammeln. Diese müssen dann frisch geschält und zerteilt werden, und um sie nicht trocken und brüchig werden zu lassen, werden sie sofort eingeflochten. Unter den strenge Augen unserer Meisterinnen geben wir unser bestes, die Lianen vorzubereiten, und ich muss feststellen, dass das Zerteilen der feinen Liane in zwei Stränge nicht meine Stärke ist. Nach einer Weile verschwindet eien der jungen Frauen im Häuschen und taucht kurze Zeit später mit zwei gefüllten Tellern wieder auf, zu denen wir an den Tisch im kleinen Essraum eingeladen werden. Reis, Bohnen und das leckerste Rührei, das ich je gegessen habe. Nach der eher kühlen Begrüßung ist dies eine angenehme Überraschung und hungrig von der langen Wanderung lassen wir uns das Essen und das süße nahrhafte Getränk aus Haferbrei schmecken und teilen unser eigenes mitgebrachtes Essen mit der Familie. Ein Teil der costaricanischen Kultur in solch kleinen Dörfchen, den ich sehr gerne mag: Wanderer und andere Besucher, die in ein Haus einkehren, werden nie ohne Essen oder einen Kaffee ziehen gelassen.

Ich schaue mich um und stelle fest, dass dies eine der einfachsten Behausungen ist, die ich in Costa Rica gesehen habe. Im Klohäuschen im Garten, in dem ich allerlei Gemüse, Kräuter und Ananasstauden entdecke, liegen Zeitungen als Klopapierersatz bereit. Trotzdem wirkt diese Familie stolz und erhaben, bewusst ihrer Kunst und Talente.

Nach dem Essen sammeln wir unsere Sachen zusammen und machen uns gemeinsam mit den beiden Weberinnen auf, um Bambus zu suchen, der für Teile der Körbe benötigt wird. Schweigend und mit Machete und Säge bewaffnet wandern wir die Hänge entlang. Manchmal bemerke ich, wie eine der jungen Frauen mich mit neugierigen Blicken mustert. Treffen sich unsere Blicke, lächelt sie schüchtern und wendet sich ab. Ich habe nun die Gewissheit, dass es vor allem Schüchternheit war, die die kühle und skeptische Begrüßung herbeiführte. Besonders meinem Mitbewohner gegenüber sind Frauen hier oft zurückhaltend, während sie mir gegenüber häufig ein wenig offener erscheinen. Ich muss darüber nachdenken, was dies wohl für mich bedeutet. Wieder einmal wird mir bewusst, dass angesichts klarer geschlechtlicher Rollenverteilung hierzulande sowohl Frauen als auch Männern offen und freundlich entgegenzutreten schnell zu Missverständnissen führen und gewisse bestehende Vorurteile über westliche, hellhäutige und blonde Frauen nähren kann. Eine Tatsache, die mir noch immer sehr fremd ist und wenngleich in touristischen Städten keine große Relevanz besitzend, dafür in traditionsreichen Dörfern um so wichtiger ist.

Nach etwa 40 Minuten erreichen wir ein Tor, durch das wir passieren, und schließlich erhebt sich ein riesiger Strauch wie eine Wand aus Bambus vor unseren Augen. Zu meinem Erstaunen ernten die Frauen gerade mal ein einziges etwa einen Meter langes Stück Bambus, das eine von ihnen schultert und sich gemeinsam mit der Schwester auf den Heimweg macht. Ich frage nicht nach der Effizienz dieses langen Spazierganges. Diese Damen werden ihre Gründe haben, nicht mehr Bambus mitzunehmen, sei es nur der Bequemlichkeit wegen. Ich habe schon gelernt, dass die Menschen in dieser Beziehung anders denken als in Deutschland - ein weiterer wichtiger Punkt in der Kultur.

Wir verabschieden uns und ziehen weiter. Gestärkt mit dem unerwarteten Mittagessen erreichen wir schließlich das Dorf San Isidro. Bei unserem Besuch des kleinen, wahrscheinlich einzigen Ladens des Dorfes erwartet uns eine weitere Überraschung. Wir fragen, ob wir die Guanabana kaufen können, die reif und riesig von einem der Bäume baumelt, und erhalten eine Führung durch die ganze Finca mitsamt frischem Guanavanasaft und selbstgemachtem Vanillelikör. Stolz zeigt uns Giselle, eine strahlende rotwangige Frau, ihre glücklichen Hühner, ihre Vanilleranken, ihre Kräuter und Kakaobäume, und ich verspreche ihr, im Juni mit meinen Eltern hierher zu kommen, um in einer ihrer Kabinas zu übernachten.

Glücklich und mit einer 5 kg schweren Guanabana machen wir uns auf den Weg, die letzte Etappe zu nehmen, bevor die Sonne untergeht. Verschwitzt und erschöpft erreichen wir ein Haus, vor dem auf einer Bank eine Gruppe von Menschen sitzt, fröhlich plaudernd und die Abendsonne genießend. Der Empfang hier ist völlig anders als bei den Korbflechtern. Eine der Frauen kennt Russel von seinem letzten Besuch und stellt uns die ganze Gruppe aus Nachbarn, Kindern und Freuden vor. Noch dazu bietet sie uns ein Zimmer an, das in ihrem Haus frei ist. Wir werden also in einem Bett schlafen können. Wir verteilen die Reste unseres Bananenbrotes und essen warme, aus groben Maiskörnern genackene Fladen, die unglaublich lecker schmecken. Im Fluss nebenan waschen wir uns den Schmutz der Reise vom Körper und genießen das ströhmende Wasser, dass die erschöpften Beine kühlt. Die Guanavana dient uns als Gastgeschenk und wird freudig entgegengenommen. Lorena, die junge Frau, bie der wir übernachten können, besitzt eine erfrischende offene Art und scheint sich über unsere Anwesenheit ehrlich zu freuen. Als wir den Abhang zu ihrem Haus hochsteigen, senkt sich die Sonne schon dem Horizont entgegen. Und noch immer ist der Tag, der voller Ereignisse steckt, nicht vorbei.

Bei Lorenas Haus wartet ein neugeborenes Kälbchen auf uns und sie zeigt mir stolz ihre bunte Sammlung blühender und duftender Blumen. Das Holzhäuschen ist sehr gemütlich und der Anblick des Bettes und die Wärme des Ofens mit dem Duft frisch gekochter Maiskolben lässt mich jedes Gramm meiner Knochen spüren. Zum Glück hat Russel noch genug Energie zum Kochen und um unsere Gastgeber zu unterhalten. Wir teilen unser Essen und Lorenas Gallo Pinto (Reis mit Bohnen) mit ihrer Familie, bevor wir müde ins Bett fallen und sofort einschlafen. Im gleichen Raum mit uns schläft der Freund von Lorenas Tochter Daniela, der in einem Extrabett schlafen muss. Daniela ist noch nicht achzehn, und so verbringen beide die Nacht in getrennten Zimmern.

Der nächste Morgen beginnt mit Bohnen ernten, etwas Yoga und einem kurzen Aufstieg weiter den Berg hoch, um die Aussiecht voll auszuschöpfen, bevor es wieder nach Hause geht. Doch mein Highlight dieses Tages ist die frischgemolkene Milch, die Lorena auf dem Gasherd aufkocht, bevor ich sie probieren darf. Noch nie habe ich so frische Milch getrunken, und sie schmeckt köstlich. Zum Abschied tausche ich meine Nummer mit Lorena aus und sie lädt mich ein, bald wieder zu kommen. Ihr Ehemann fragt, ob wir ihm beim nächsten Mal Wurzeln von Ingwer und Kurkuma mitbringen können, damit er sie in den Garten pflanzen kann.

Ich freue mich schon auf den nächsten Ausflug hierher und darauf, mit den mitzubringenden Wurzeln der Familie einen Gefallen tun zu können. Als wir beim Abstieg das Haus der Nachbarin passieren, gibt sie uns eine Flasche Zuckerrohrsaft mit, den wir trinken sollen, wenn uns die Energie ausgeht. Überwältigt von soviel Gastfreundschaft nehmen wir das Geschenk an und machen uns erfüllt mit und leider auch schonwieder umgeben von Wärme auf den Heimweg, der uns durch paar Waldbeeren am Wegesrand versüßt wird.











































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