Tropische Depression

von 17 philipp  

Nate ist da! Es ist unübersehbar. Überall liegen Bäume, seit Tagen hat der Regen nicht aufgehört und wenn er doch mal nachlässt, dann nur um gleich drauf mit doppelter Intensität zurück zu kehren. Der Strom ist weg und selbst an den wenigen Orten in der Umgebung, wo einen sonst das Handysignal erreicht, starrt man jetzt gespannt auf den nassen Bildschirm bevor man enttäuscht und durchnässt den Rückweg antritt.

Nate ist der Name, den Metereologen jenem Tropensturm gaben, welcher auf seinem Weg durch die Karibik große Teile Costa Ricas und Nicaraguas überflutet und viele Existenzen zerstört. Wir kommen glimpflich davon berichtet das Radio. Abende bei Kerzenlicht und der Verlust einiger Baumkronen und ein Ende in Sicht. Nichts im Vergleich zu dem, was den Menschen im Süden des Landes wiederfahren ist. (Platz für Links zu anderen Blogs)

Miguel ist da! Es ist unübersehbar. Überall liegt Werkzeug, seit Tagen irren wir auf der Suche nach Arbeit durch die isolierte Station, und wenn man doch mal was Sinnvolles findet, scheitert die Umsetzung entweder am Überfluss an Wasser oder am Mangel an Strom.

Zwar mag man es als Zufall bezeichnen, dass uns Miguel gerade dann aufsucht, wenn auch der Sturm über das sonst so verschlafene Tal zieht, jedoch sind die Folgen beider Heimsuchungen von ähnlicher Tragweite.

Wir haben viel Zeit für Gespräche, Geschichten, Kopfschmerzen. Wir sehen uns am Scheidepunkt eines langen Weges, an dessen Anfang eine bessere Zeit voller harter Arbeit, gepflanzter Bäume, Besucher und Freiwilliger stand, und dessen Verlauf die letzten Jahre scheinbar bergab und über steiniges Terrain führte. Die Zukunft besteht gleichermaßen aus Träumen und Möglichkeiten und ist in Miguéls Fall durch den Kontrast zur Blütezeit des Projekts geprägt, welcher nicht nur Gesichter sondern auch Szenarien düster erscheinen lassen kann.


Regen. Wasser überall.

Erleuchtet vom flackernden Schein einer Kerze, umgeben vom unendlichen Prasseln des tropischen Regens läuft einem so mancher Schauer kalt den Rücken herunter. Oder ist es das Wasser, das seinen Weg durch eines der zahlreichen Löcher im Dach findet, um entlang des Gebälks laufend, aus Fugen tropfend und aus Wänden triefend letztendlich im Kragen meines Hemdes zu enden?

Wäre die Zukunft eine Geschichte, würde sie je nach Erzähler von der Härte des Schicksals oder von der Trägheit der Protagonisten handeln.

Auf den ersten Blick strahlend wirkt die Vision der heruntergekommenen Station durch einige Monate harter Restaurationsarbeit wieder die vergangene Würde einer gut funktionierenden Waldschützerstätte einzuhauchen. Wissen, Erfahrung und Kontakte sind kondensiert in der Person Miguel zur Genüge vorhanden, erarbeitet in vielen Jahren quer durch die Welt. Die Infrastruktur, wenn auch in schrecklichem Zustand, ist bereits vorhanden und bei genauerer Betrachtung weniger hoffnungslos, als man auf den ersten Blick glaubt.

Die Umsetzung der Idee scheint jedoch in ungreifbare Ferne gerückt zu sein. Miguél will sich, was mit seinen 65 Jahren verständlich ist, nicht länger in der Rolle des Protagonisten sehen, sondern ist viel lieber der Stationsgeist, der alles sieht, der erscheint und verschwindet wie es ihm passt, mal um Verwirrrung zu stiften, mal um Klärung zu verschaffen, jedoch immer um, wie er es nennt, die spirutuelle Entwicklung der Menschheit voranzubringen. Viel lieber würde er die lokale Kultur, also die Menschen aus El Sur, zu Wort kommen lassen, würde sich wünschen sie über Aufforstung und die Wichtigkeit von Diversität sprechen zu hören, den Rest der verzaubernden Wirkung des Ortes, den Vögeln und Blättern überlassen.

"Es ist alles geschrieben" sagt er "aber nicht in Worten".

Nachhaltigkeit würde man so eher erreichen als auf andere Weisen doch der Funke, der Geist, das Bewusstsein, welches die Grundlage für jede Form von Bildungsarbeit für und mit der Natur darstellt wird, sosehr wir auch versuchen den Samen dessen zu sähen, zu gießen und zu pflegen nicht gewachsen sein bevor unsere Bäume Früchte tragen. Hier müssen wir zugeben, dass es wohl fruchtbarer wäre noch mehr Engagement in diese Richtung zu zeigen, den Menschen die gleiche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, wie sie den Bäumen zuteil wird, obgleich wie es Miguél in einem Anflug von Nihilismus formuliert, die Affen als Audienz dankbarer sind, als es die Menschen zu sein scheinen.

Eine zweite Überlegung ist es, sich auf die Reanimierung des Agroforstes zu konzentrieren. Die meisten Pflanzen bestehen bereits und sind gesund. Jedoch verlangt ein solches Projekt nach höherqualifiziertem Personal vor Ort.

Die dritte Option ist radikal. Ein harter Schnitt, Station verkaufen, Greenschool abstoßen, Kosten reduzieren und den ökologischen Korridor, das Herz des Projektes, ohne Ablenkung sich mehr oder weniger selbst überlassen. Im Zustand philosophischer Verklärung (Miguél) erscheint dieses Szenario als das reinste und einfachste, die Entscheidung bereits getroffen. Doch wie so vieles scheitert auch dieser Traum am trockenen Realismus (Hermann). Zu viel Land muss noch gekauft werden, zu viele Hektar sind noch unbewaldet. Es ist schlichtweg zu früh um die letzten Hoffnungen und Anstrengungen auf einen verlässliches und nachhaltiges Einkommen aufzugeben.

Auch Nate bringt düstere Aussichten mit sich. Wie lange werden wir noch isoliert sein? Wann sind die Straßen wieder befahrbar? Wann kehrt der Strom zurück? Wie lange reicht der Laptopakku? Die Gasflasche?

Nachtrag: Vier Tage ohne Strom und bisher 15 Tage ohne Handysignal und Internet, 6 größere Schattenbäume und 4 Kakaobäume, 3 festgefahrenen Optionen und ein bisschen Hoffnung. Die Bilanz ist gnädig.

BlogNo:02

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