Tranquilo

von 16 tabea  

Ich habe immer gedacht, ich wäre anders als alle anderen deutschen Reisenden, habe mich nie fremd gefühlt in Urlauben, konnte mich immer anpassen und habe innerhalb weniger Tage, ganz egal wo, Orte zu meinem Zuhause erklären können.

Ich bin flexibel und ich bin so viel, dass ich nie fremd sein würde, nirgends, dachte ich.

Und jetzt sind wir hier und ich habe zum ersten Mal das Gefühl, vor einer Tür zu stehen. Sie ist verschlossen und ich kann sie nicht öffnen, kann das Rätsel nicht lösen, denn es fehlt mir der Schlüssel.

Ich bin eine Deutsche, eine Gringa und ich bin so anders als all das um mich herum.

„Tranquilo“ sagt die alte Frau an der Bushaltestelle, die neben uns sitzt. Wir sind bepackt mit zwei großen Wanderrucksäcken voller Essen und der Bus ist schon zwei Minuten zu spät. Zwei Minuten. Ich habe auf mein Handy gesehen und musste mich dabei ertappen, wie sich meine Stirn in Falten legt, ich mir Gedanken mache, anfange alle Möglichkeiten auszurechnen. Was ist passiert, sind wir an der falschen Haltestelle, fällt der Bus aus, müssen wir jetzt ein Taxi nehmen …?

Zwei Minuten und ich bin unruhig. Offensichtlich, denn die alte Frau neben mir lächelt mich an, „tranquilo“ sagt sie, Ehrlichkeit in ihrer Stimme, Ruhe. Ihr faltiges Gesicht ist ausgeglichen, Lachfalten, sie ist ein fröhlicher Mensch, das erkenne ich, zufrieden, glücklich.
Wie sie mich so anstrahlt, fällt alles von mir ab, alle unbegründeten Sorgen, aller Zweifel. Kein Stress, Tabea. Die Sonne scheint und für einen Moment habe ich das Gefühl, auch ich trage diese Ruhe in mir, irgendwo verborgen unter einem Mantel aus Aufregung, jetzt greife ich darauf zurück. Und wenn ich noch eine halbe Stunde hier warte, vollkommen egal, das wird schon, wir werden nach Hause kommen.

Es ist so banal. Was fehlt uns Deutschen, was lässt uns panisch werden, bei zwei Minuten Verspätung? Warum können wir das Leben nicht genießen, warum stressen wir uns selbst. Es ist alles nur in unserem Kopf, warum lassen wir das Leben nicht einfach passieren.

Ich kann noch so viel lernen, so viel mehr wachsen als ich es gedacht hätte und es erfüllt mich mit Glück, dieser Moment, diese Erkenntnis.

Dankbar lächle ich die alte Dame an als der Bus kommt.

BlogNo:01

2 Kommentare

Kommentar von: Larissa [Besucher]

Ich weiß genau, was du meinst! :D Auch wenn einem das vorher gar nicht bewusst war, sind wir Deutschen immer direkt nervös, wenn etwas nicht sofort funktioniert. Ich habe in den paar Wochen hier auch schon gelernt einfach ruhiger und lockerer zu werden. Irgendwie erreicht man immer das Ziel, verspätet oder pünktlich spielt hier keine Rolle.

Kommentar von: Tim Lueschen [Besucher]

Schön geschrieben Tabea! :)
Und gleich so eine wichtige Erkenntnis und Essenz des Lebens eingefangen in diesem kleinen Augenblick an der Bushaltestellt :)


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