Die andere Seite

von 17 philipp  

Während meiner Zeit in Costa Rica war Pro REGENWALD für mich in etwa das, was ich von dort aus auch sehen konnte:
Partnerprojekte in Mittelamerica, Freiwillige, Hermann, (Jo)Hanna & Martin, ambitionierte Ideen bei ausweglos erscheinenden Ausgangssituationen, der Newsletter und hin und wieder eine wahlweise aufbauende oder demotivierende Mail.

Heute sitze ich im Kulturpark München im kalten Büro unterm Dachstuhl zwischen gestapelten Kartons mit T-Shirts und Hermanns Schlafmatte und blicke auf einige Tage zurück, die mir die Gelegenheit gaben ein ganz anderes Pro REGENWALD wahrzunehmen, irgendwie ein kompletteres.

Die andere Seite der Münze auf der anderen Seite der Welt beginnt mit der Erkenntniss: ¡¡Pro REGENWALD sind viele!! naja also auch nicht so viele, aber doch eben ein Netz aus engagierten Machern, Denkern und Mitmachern, die sich am Infostand die Münder fussselig reden, die Filmvorführumgen und Gesprächsrunden initiieren oder Computer reparieren.
Neben manchen bekannten setzt sich das Antlitz der Organisation auch aus einigen mir unbekannten Gesichtern zusammen, die alle einen eigenen Hintergrund und eine andere Ausrichtung mitbringen

Die zweite Erkenntniss: Da steckt ganz schön viel Arbeit dahinter. Bis Arbofilia und Co. überhaupt möglich werden, ist ein großer Teil der Arbeit bereits getan, das wusste ich schon. Wie schwer es dann wirklich ist, die nötigen Groschen zusammenzukratzen, begreife ich erst als ich am Pro REGENWALD-Stand auf der Münchner Theresienwiese ankomme. Zwischen Glühwein, Kerzengießern, haufenweise billigem Schmuck und selbstgestickten Socken quetscht sich der über das Nord-Süd-Forum organisierte Infostand für das diesjährige "Winter Tollwood", ein als alternativ gehandeltes Festival, das dann aber doch eher im Gewande eines ordinärer Weinachtsmarktes daher kommt, nur eben ein bischen teurer.

Weihnachten denke ich mir, öffnet den Menschen die Herzen, macht sie freigiebig und großzügig. Nach den ersten fünf Pasanten stelle ich etwas ernüchtert fest, dass eben doch erst Ende November ist. Wir haben eine Tombola dabei, inklusive handgefaltete Lose und Waschmaschine als Hauptgewinn. Zwar fällt es manchmal schwer zu erklären, was die Bilderbücher aus der Reihe "Pixi auf dem Ponnyhof" mit dem Regenwald zu tun haben, abgesehen davon, dass ihr primärer Rohstoff eventuell diesem entstammt, jedoch muss mir nun jeder Marktstratege zustimmen, dass ein interaktiver Auftritt doch mehr Menschen anlockt, als ein in sektuöser Bekehrermanier genuscheltes: "Wollen Sie mit mir über den Regenwald sprechen?".

Wie dem auch sei: manche wollen doch über den Regenwald sprechen und da bin ich zum Glück nach einem Jahr bei Arbofilia drauf vorbereitet und kann ein gewisses Standardsortiment an FAQ doch recht leicht und vielleicht teilweise etwas zu ausführlich beantworten: Wohin geht das Geld? Kommt es auch wirklich an? Warum dieser Ort? Warum Costa Rica? Wer ist beteiligt? Wer profitiert? Welche Baumarten?...Natürlich gibt es auch rechts und links der Normalverteilung sämtliche Spielformen von Standbesuchern. Da ist der Schweizer Insolvenzverwalter mit einer doch ganz eigenen Vorstellung von Gerechtigkeit, der erst ein längeres Gespräch über Konsum und dessen teils unmenschliche Auswirkungen anregt um dann zu seinem Sportwagen zu entschwinden. Oder die Frau, die zehn Euro spendet aber mich bittet, ihr nichts vom Projekt zu erzählen. Überhaupt sind die meisten mit der Auskunft, es gehe um den Regenwald vollends zufrieden und lassen ein paar Euro für die Lose springen.

Auf dem Tollwood komme ich mir manchmal vor als verkaufte ich Ablassbriefe. "Ein Los ein Euro!!, ab fünf Losen gibt es ein reines Gewissen". Das erklärt vielleicht auch warum nach drei Tagen zwar fast alle Preise der Tombola gewonnen sind aber die Infoflyer zu Fleisch, Palmöl, Papier und co. noch weitestgehend jungfräulich auf ihren Stapeln liegen. In der Adventszeit ist einfach kein Platz für schlechte Laune.

Man kommt sich doch oft absurd vor, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Freigiebigkeit, auf die wir hoffen, sich auch im Konsumverhalten der Marktbesucher widerspiegelt, und dass wir nicht der Grund sind, wesshalb die Massen Tag für Tag auf das Veranstaltungsgelände strömen. Sie kommen um zu kaufen und und konsumieren: Weihnachtsgeschenke, Schmuck, Klimbim, eine Zirkusveranstaltung oder etwas Musik. Lauter Dinge von denen man schon immer geträumt hatte und es nur noch nicht wusste.

Ich erinnere mich: Wir hier in Deutschland, in den Industrienationen sind es, die mit unserer Nachfrage die ökologischen und sozialen Schweinereien anderer Orte überhaupt erst anstoßen: Unsere Dieselmotoren verbrennen das Palmöl, unsere Gartenmöbel machen Teak zum begehrten Rohstoff und unser Hunger wird auf Ackerflächen und Viehweiden in der ganzen Welt gesättigt.

Als ich nach Schichtende zurückradle, einmal quer durch München überkommt mich ein fauliger Hauch der Übelkeit: Die ganze Stadt scheint zu einem gigantischen Weihnachtsmarkt entstellt. Ich fahre und fahre, doch an allen Ecken riecht es nach gebrannten Mandeln und Glühwein. Wann immer ich glaube, all die Händler hinter mir gelassen zu haben, taucht vor mir im funkelnden Licht des LED-Sternenzelts bereits der nächste Weihnachtsmarkt auf.

Zum ersten mal seit ich wieder in Deutschland bin, sehne ich mich ernsthaft zurück in den Dschungel.

BlogNo:12

1 Kommentar

Kommentar von: Johanna [Besucher]

Lieber Philipp,
dein Lieblings-Mantra “Wer keine Lose für den Regenwald kauft, kommt in die Hölle!” wolltest du der staunenden Leser*innenschaft doch wohl nicht vorenthalten ;-) Mir war’s ein Fest, mit dir im Tollwood-Wahnsinn zu stehen!


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