Hundefutterherzen und Walddesign

von jana_12  

Um fünf klingelt mein Wecker und ich muss mich erstmal mit meiner zweiten Uhr überzeugen, dass es nicht mitten in der Nacht ist, denn es ist stockduster. Aber es ist in der Tat kurz vor Sonnenaufgang. Dämmerung ist hier eben eine Sache von Sekunden. Emma hört mich und rennt wie von Hornissen verfolgt vor meinem Fenster hin und her, ihr Frühstück einfordernd.

Endlich hab ich einen Hund. Leise, um meinen Mitbewohner nicht zu wecken, schleich ich an meinem Büroschreibtisch, der direkt neben meinem Zimmer steht, vorbei, geb Emma Hundefutter-Pressherzen und mach mich fertig. An diesem Morgen werde ich Milo auf seiner Finca helfen, so wie er es gestern vorgeschlagen hat. Er ist der Vorsitzende des International Analog Forestry Network, in dessen Büro ich für die nächsten Monate meinen Freiwilligendienst absolviere. Auf seiner Finca zu helfen zählt eigentlich nicht zu meiner Arbeit und so nutze ich die frühen Morgenstunden, um etwas über Regenwaldwirtschaft und Permakultur zu lernen.

Milo arbeitet seit vielen Jahren als Forstwirt auf seiner eigenen Familien-Finca und setzt seither das Konzept in Costa Rica um, was Ranil Senanayake anfang der 80er Jahre in Sri Lanka entwickelte: Analoge Forstwirtschaft. Diese Art der Waldbewirtung zielt darauf ab, die Klimax-Gesellschaft eines Waldes zu imitieren in ihrer Struktur und ökologischen Funktion. So können Mikrohabitate, Schlüsselarten (“Keystone species”) und Nährstoffkreisläufe von einer lokalen Baumart oder einer analogen exotischen Art zur Verfügung gestellt werden. Das Design eines solchen Waldes wird genutzt, um seinen Wert für die lokale Bevölkerung zu steigern, ohne die Natur zu stören. Das Ersetzen einer Baumart, die Futter für das örtliche Wild bietet, durch eine andere, die einen grösseren ökonomischen Wert besitzt, doch analog zur ursprünglichen Spezies hinsichtlich der Futterversorgung des Wild ist, ist ein typisches Beispiel für das Konzept Analog Forestry. Die geformte Waldgesellschaft soll nicht nur analog zur ursprünglichen Gesellschaft hinsichtlich der Futterversorgung des Wildes sein, sondern alle Ökosystem-Service erfüllen, die durch die ursprüngliche Klimax-Gesellschaft erfüllt wurden: Regeneration von sauberem Wasser, Stabilität und Erhaltung der Biodiversität. Diese Funktionen sollen erkannt und im Design berücksichtigt werden, anstatt Monokulturen ökonomisch effizienter Arten anzupflanzen, die das Ökosystem stören und nachhaltig negative Auswirkungen auf die Böden, den Wasserhaushalt und die Artenvielfalt haben.

Milo hat dieses Konzept erfolgreich umgesetzt und produziert auf seiner Finca Gewürze, Heilpflanzen, Früchte und Gemüse. Ausserdem finden hier Kurse und Workshops statt für Farmer und Studenten und jeden, der sich für Analoge Forstwirtschaft interessiert.

Zum Glück gehört zum Office ein altes Mountainbike, denn Milos Finca ist eine dreiviertel Stunde Fussweg entfernt. Mit einem etwas mulmigen Gefühl trete ich kräftig in die Pedalen, um auf den dicken Kieseln voranzukommen ohne umzufallen. Wird Milo sich überhaupt an seine Einladung erinnern? Werde ich ihm helfen können? Ich erinner mich nicht genau, wie ich zur Finca komme, nur dass ich mal im Wald dran vorbeigelaufen bin. “Wenn das Tor offen steht, ist es schwer zu sehen”, hat mein Arbeitskollege gesagt. “Und wenn du an der Brücke hinter dem Hügel bist, bist du zu weit”. Nach holpriger Fahrt durch das schlafende Dorf umgibt mich schliesslich dichter Wald. Auf die Abwesenheit meines Orientierungssinnes ist wie immer Verlass. An der Brücke mache ich kehrt und entdecke wenig später das offenstehende Tor, auf dessen vermosten Schild “Analog Forestry” steht. Milo winkt. Das sonst so ernste Gesicht, dem man Eigenwilligkeit und Dickköpfigkeit ansehen kann, ist erhellt durch ein breites Lächeln. Ich stelle mein Fahrrad ab und folge ihm in seine Reisbeete.

Vor etwa 40 Jahren entschloss ein Amerikaner in seinen Mitt-Zwanzigern, begeistert und mitgerissen von der Hippiebewegung, mit den 2000 Dollar, die er gespart hatte, nach Costa Rica zu reisen um zu Surfen. Als die ersten 500 Dollar verbraucht waren, bekam er Malaria und warf alle seine Pläne über den Haufen. Er fragte einen Freund, ob dieser mit weiteren 1500 Dollar ein Haus mit ihm kaufen wolle, in dem Land, dass ihm für alle Zeit Sonne und perfekte Wellen versprach, und erwarb ein Stück Land im Naturparadies. Heute wäre das Haus in Manuel Antonio, dessen artenreicher Nationalpark zu den beliebtesten Touristenziele Costa Ricas zählt, Millionen wert. Doch Milo verkaufte noch bevor der Touristen-Boom losging, um mit seiner Frau, die er hier kennen lernte, eine Familie zu gründen. Er kaufte eine Finca in Londres bei Quepos, auf der er fortfuhr, alternative Anbaumethoden auszuprobieren und Erfahrungen in Ökolandbau und Regenwaldwirtschaft zu sammeln. Weitere 15 Jahre später verkaufte er etwa die Hälfte dieses Landes und kaufte eine Finca, in der er seinen Lebensabend verbringen möchte und die er mithilfe jahrelanger Erfahrung in ein Naturparadies mit enormer Biodiversität, aber auch grossen ökonomischen Nutzen verwandelte.

Nachdem wir Bambusrohre in den Reisbeeten verlegt haben, die das Wasser mit einem geschickten und doch einfachen Überlaufsystem von einem Beet ins andere leiten, führt mich Milo ein wenig herum. Überall raschelt und lebt es, jede Kletterpflanze, die in Lianen von Bäumen hängt, hat eine Funktion, sei es als Lebensraum seltener Arten, als Nahrung, Gewürz oder Heilpflanze. Meine Nase ist erfüllt von verschiedensten Düften, Zimt, Vanille und völlig Unbekanntes.

Wir schlendern durch den Schmetterlingsgarten. Milo blickt zufrieden hinter sich, wo eine grosse Vielfalt an Blüten zahlreiche Schmetterlinge anlockt. Sein Blick verzerrt sich als er mir erzählt, was ihn dazu inspirierte, einen Schmetterlingsgarten zu bauen. Er erzählt mir von einem Schmetterlingshaus, überdacht mit einem Kunststoffdach, und Tausenden Schmetterlingen, die alle hinaus flüchten wollten, aber keinen Ausweg fanden. Wie die Erinnerung an einen schlechten Traum zeichnet diese Vorstellung Falten in sein Gesicht. Wir schlendern zusammen durch die Blütenvielfalt seines offenen Schmetterlingsgartens und beobachten einen blauen Morphofalter, der mit langsamen Schlägen seiner riesigen Flügel wirkt, als würde er gehalten und gesteuert von unsichtbaren Fäden.

Dies ist erst der Anfang sagt Milo. Alle Pflanzen hier sind gerade mal zwei Jahre alt und viele entwickeln dieses Jahr zum ersten Mal Blüten. Ich beisse in eine Guave, die ich auf dem Boden gefunden hab, eine faustgrosse, säuerlich schmeckende Frucht, deren grüne Schale man mitisst, und hör seinen Geschichten zu.

Milo sagt, dass es seiner Frau heute zwar fast wieder gut geht, aber er wird mir Frühstück beim nächsten Mal servieren. Seine Frau hat ein Problem mit der Speiseröhre. Sein 8 Wochen versucht sie ihre Leiden mit natürlichen Heilmitteln aus costaricanischer Tradition zu bekämpfen. Leider hat die Alternativmedizin dismal nicht ausgereicht und sie musste zu einem Arzt, der ihr half.

Als ich zurückradel, ist Leben in das Dorf eingekehrt. Ich höre Musik und Lachen, Bettzeug hängt über Zäunen und Hunde liegen auf der Strasse. Jetzt beginnt mein eigentlicher Arbeitstag, im Büro des International Analog Forestry Network.

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