Vom düsteren Platz...

von 22 robert  

Die Leute sagen, man soll nachts nicht hier sein.

Ich bin trotzdem hier, mitten in dieser blinkenden Asphaltverdichtung. Manch einer schläft jetzt schon, aber wir sind hier. Mit dem Mädchen sitze ich auf den Steinen und wir unterhalten uns, obwohl man hier nicht mehr sein sollte, denn es ist schon lange nicht mehr hell. Etwas glimmt auf, kommt meiner Hand näher und vergeht. Sonst ist keiner hier. Es ist so frisch und briesig, gar nicht schwül und warm wie bei uns unten. Ich finde, dass es keine Briese mehr ist, sondern schon Wind.

Die Unterhaltung mit dem Mädchen gefällt mir gut. Wir reden über das Verstreichen der Zeit. Eigentlich ist das Mädchen gar kein Mädchen mehr, sondern schon eine Frau. Aber davon will sie nichts wissen. Neben dem Platz ist eine große Straße, auf der fahren Autos und Lastwagen. Ich mag es in diesem Augenblick, dass die Luft deswegen nach Stadt riecht.

Der Junge setzt kommt zu uns und fragt, ob wir ihm Geld schenken können. Er hat kein zuhause und ihm ist kalt. Auch er ist schon erwachsen, hat schon zu viel erlebt. Wir können ihm keine Münzen geben, denn wir haben keine dabei. Er sagt, dass das unwichtig ist und setzt sich zu uns. Denn er hat niemanden zum reden. Er ist schon der dritte an diesem Abend, der sich mit uns unterhält. Vielleicht sehen wir so nett aus. Aber ich weiß doch schon die Wahrheit. Wir haben mehr Geld als sie und sie wissen es ganz ohne dass wir es ihnen sagen. Denn wir kommen von weit her. So sitzen wir hier, auch wenn die Leute sagen, dass man es lieber nicht tun sollte. Fünfzehn Minuten sitzen wir so leisw da und wissen gar nicht, über was wir mit ihm jetzt reden sollen. Seine Geschichte kennen wir schon ein wenig. Aber es ist auch ok, nichts zu sagen und stattdessen nehme ich das umgebende, urbane Rauschen in mich auf. Das Mädchen fragt, ob wir nicht etwas anderes für den Jungen tun können, aber mir fällt auch nichts ein. Ich lehne mich zurück und mein Telefon rutscht mir soweit aus der bequemen Hose, dass man es sehen kann. Ich schiebe es zurück, denn das will ich gerade nicht. Ich merke aber, dass der junge Mann es schon gesehen hat. Er hat ein Auge für diese Dinge. Nach ein paar Minuten steht der Mann auf und ich denke, dass er vielleicht geht. Er beugt sich über mich und sein Ton ist anders als davor. Plötzlich duzt er mich. Er sagt mir, dass da hinten seine Kollegen sind und die haben Waffen. Pistolen. Und wenn ich ihm nicht mein Telefon geben sollte, dann pfeift er kurz und sie kommen und schießen auf uns. Ob ich ihn verstehe. Und mit dem Mädchen dürfe ich nicht wegrennen und auch wenn wir Deutsch sprächen, schiessen sie auf uns. Ob ich ihn verstehe.

Und ich verstehe ihn ganz genau. Ich gucke ihm in die Augen und er wirkt ganz aufgebracht. Ich tue so, als ob ich ihn nicht verstehe und der Blick des Mädchens gefällt mir nicht. Mein Körper verändert sich plötztlich. Mein Herz fängt ganz schnell an zu schlagen und ich muss schlucken. Meine Augen weiten sich. Angst schaltet sich ein, denn ich verstehe. Und es ärgert mich, dass der Moment auf einmal so hässlich ist, eben war doch noch alles in Ordnung. Ich frage den Mann, ob er mein Telefon will und er sagt, dass ich es ihm geben soll. Ich sage, dass ich das nicht machen kann. Ich denke, dass mir erst vor einem Monat mein Telefon gestohlen wurde und dass ich dieses lieber behalten möchte. Und ich denke, dass er lügt. Ich sage zu dem Mädchen: "Lass uns rennen." Sie sagt: "Alter, die haben Waffen!" Trotzdem stehen wir auf.

Der junge Mann pfeift laut, um seinen bewaffneten Freunden Bescheid zu geben und ich renne los. Ich drehe mich um, und sehe, wie er das Mädchen festhält. Ich kehre um, doch sie hat sich schon losgerissen und jetzt rennen wir beide. Meine Beine sind schwerer als sonst und ich finde, dass sie sich der Situation unangemessen langsam bewegen. Irgendwie verhaken sich meine Beine ganz ungut oder ich stolpere über eine Unregelmäßigkeit im Steinboden, schwer zu sagen. Ich falle hin und kriege gleichzeitig eine tiefere, ernstere Angst, denn jetzt ist der Mann über mir. Mein Telefon verlässt meine Hosentasche und liegt auf dem Boden. Meine Handflächen schrappen über den Boden, meine Knie und meine Seite auch. Es tut aber nicht weh, denn Adrenalin beherrscht jetzt meinen Körper. Ich springe auf und schubse den Mann weg, der mich festhalten möchte. Von meinem Hieb fällt ihm irgendwas auf den Boden, vielleicht sein gesamtes Hab und Gut. Pirouettenhaft drehe ich mich wieder um und sammele schnell mein Telefon auf. Ich blicke zu dem Mädchen, dass einen Kurswechsel in meine Richtung gemacht hat, als ich hingefallen bin. Jetzt renne ich weiter in Richtung der großen Straße und der Mann ist direkt hinter mir. Ich renne so schnell ich kann. Er ist nur einen Meter hinter mir. Ich beschleunige nochmal, was eigentlich gar nicht geht. Zehn Meter, zwanzig Meter zurückgelegt und ich blicke nochmal zurück. Und immernoch ist er hinter mir. Dann sind wir sehr nah an der Straße. Der Mann ist zwischen dem Mädchen und mir. Er versucht, sie nochmal festzuhalten, doch sie ist stark und könnte ihm auch weh tun. Irgendetwas lautes kommt aus ihrem Mund, doch verstehen tu ich es nicht. Der Mann bleibt im Dunkeln zurück. Wir rennen über die Straße und ich sehe in ihren Augen das Adrenalin, das sie auch ergriffen hat. Ich blicke zurück, denn wir sind auf der anderen Straßenseite und die Straße hat viele Spuren. Der Junge hat sich aufgelöst, untergegangen im Schattenreich des Platzes. Wir rennen weiter, obwohl er nicht mehr da ist. Dann hören wir auf, denn wir haben den nächsten Block erreicht und der Atem geht sehr schnell.

Noch länger wütet in uns der Überlebensmodus, dann komm ich zur Ruhe. Bald bin ich auch kein Junge mehr und glaube den Leuten. Die sagen, man soll nachts nicht hier draußen sein.

BlogNo:05

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