Über Familien(wahn)sinn
Eine der Sachen die ich hier in Costa Rica genieße, aber die mich - sicher auch aus Gewohnheit - manchmal anstrengt, ist das Familienleben. Meine Gastmutter hat 14 Geschwister, ursprünglich 16. Bei ihren Eltern sah das nicht anders aus. Im ganzen Ort wiederholen sich die Nachnamen.
In dieser Familie, wie in vielen anderen auch, leben die Kinder nah bei ihren Eltern. Die Enkelkinder kommen oft vorbei, am Wochenende besucht man sich, viele Geburtstage und Taufen für die neuen Mitglieder stehen an...
Für mich persönlich ist das eine schöne Abwechslung, da der größte Teil meiner (unbekannten) Familie in Spanien wohnt und ich in Deutschland nur meine (Groß)Eltern und einen Bruder habe. Ich hatte dort immer viel Zeit für mich selbst und konnte die Dinge tun, die ich mochte, nach meiner Laune leben. Vor allem die Schule hat hauptsächlich diese Dinge eingeschränkt. Verantwortung und Verpflichtungen hatte ich, aber größtenteils für mich selbst.
Hochzeit im Dorf.
Nicht, dass ich verpflichtet würde, groß am Familienleben hier teilzunehmen; es ist einfach logisch und wird in gewisser Weise auch erwartet. So werden die Wochenenden hier oft mit "Leute kennenlernen" verbracht; es ist immer schön, Bekannte zu haben. Nicht nur, damit man die Zeit nicht allzu viel alleine verbringt oder sich langweilt, auch weil man sich gegenseitig aushelfen und unterstützen kann und ich als Freiwillige so einfacher in Kontakt komme.
Meine Gastmutter ist richtig bekannt in La Paz, muss gar kein Cousin oder eine Tante von ihr sein, denen ich begegne ... auch so kennen sich hier die Menschen, da viele schon ihr ganzes Leben hier wohnen.
Obwohl ich in Deutschland in einem Dorf gelebt habe, ist mein Leben dort anonymer verlaufen als hier. Die Menschen sozialisieren sich hier schneller und einfacher, schließen schneller Bekanntschaft und - wenn das Interesse von beiden Seiten kommt - pflegen diese auch gut. Ich wurde ja schon öfters damit konfrontiert, dass Freundschaften hier oberflächlicher gehandhabt werden als in Deutschland .. .ist aber eben auch alles immer relativ.
Die Familie auf jeden Fall wird aus meiner Sicht bei den meisten noch als sehr wichtig empfunden. Generell gesehen, sind Costa Ricas Familien kleiner geworden, vielleicht aufgrund des Lebensstils, der zu einem individualistischeren, karriereorientierterem wird. Da möchte ich aber nicht zuviel behaupten, gerade weil das hier nicht San José ist, sondern das kleine La Paz mit immer noch vielen alten und jungen Menschen.
Taufe.
Allerdings ist die Geburtenrate in Costa Rica nach meinen Recherchen in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen, wobei man auch die Beiträge der nicaraguanischen Nachbarn berücksichtigen sollte. Deren Familien sind oftmals noch kinderreicher und viele von ihnen leben in Costa Rica.
Familien sind hier teils noch eine Absicherung, finanziell wie humanitär: Die jüngeren Generationen kümmern sich um die älteren sobald diese nicht mehr können. Ein Rentensystem gibt es hier schon, aber im Allgemeinen kümmert sich der Staat weniger um die finanzielle Sicherheit. Gerade in ländlichen Gegenden wie hier ist das noch einmal anders, einfach weil hier die Möglichkeiten und das Wissen (über diese/die eigenen Rechte) begrenzter sind.
Gleichzeitig empfinde ich es aber als sehr richtig und menschlich wenn ältere Menschen sich auf Hilfe innerhalb der Familie verlassen können und nicht alleine dastehen oder ins Altersheim "abgeschoben" werden. Die Betonung liegt auf wenn. Denn nicht jede Familie sorgt immer noch für junge Menschen, die Hilfe anbieten können oder auch wollen.
Bei uns sieht das glücklicherweise nicht so aus: Ungefähr alle 20 Tage (es müssen ja alle einmal drankommen) statten wir Rosarios (meine Gastmutter) Eltern einen Besuch ab, helfen im Haushalt oder machen, was eben so ansteht. Dort sind auch immer andere Geschwister und Bekannte der Familie. Eine gute Möglichkeit für Autausch und Abwechslung.
Weihnachtskrippe.
Zu Weihnachten bzw. meinem Geburtstag war es ebenfalls schön, einmal ein paar Leute mehr um sich herum zu haben. In dieser Zeit sind bei uns in Deutschland viele im Urlaub oder eben mit der eigenen Familie beschäftigt. Ich durfte mich über das Zusammenkommen von fast allen Geschwistern Rosarios am 24. bei ihren Eltern und eine Feier innerhalb ihrer Familie einen Tag später freuen.
Vor allem die älteren Menschen hier erscheinen mir teilweise am lebensfrohesten. Sie sind die, die immer ein Lächeln auf den Lippen tragen, so etwas wie Kämpfergeist haben, ein Funkeln in ihren Augen, das ganz schwer zu ersticken ist.
Ich frage mich dann, wann ich nach meiner Rückkehr einen 98-jährigen, wie Rosarios Patenonkel, der seine Frau ins Bett bringt, Hühner füttert und mich zum Gitarre spielen animiert, sehen werde. Oder einen 95-jährigen, wie Rosario Vater, erleben werde, der in seinem Schaukelstühlchen sitzt und redet und Witze erzählt wie eh und jeh und, trotz Krankheit, nicht müde wird.
Doch, da erkenne ich meinen Großvater wieder!
1 Kommentar
Was für ein Bericht!!!
Die Herzlichkeit der Menschen spürt man allein schon beim Lesen.
Wunderbarer Artikel!
Neueste Kommentare