Ein Wochenende in Chepe

von 15 marleen  


Oft konfrontierte ich euch mit harten Fakten, erlebt durch meine Augen, verpackt in meine Worte. Diese fehlende Leichtigkeit spiegelt vielleicht auch ein bisschen wieder, wie ich mich oft in San José fühle. Heute möchte ich dem etwas entgegensetzen und lockerleicht von meinem verrückten Wochenende zwischen Gutelaunehöhenflug und Berührtheitstränen in San José berichten.


Eigentlich wollte ich gar nicht hier sein in der Stadt, wo es mir so schwer erscheint mich zu erholen, auszuruhen und Kraft zu tanken. Aber dann zeigte sich Chepe, wie die Hauptstadt im Slang auch genannt wird, von einer überraschend schönen Seite…


Überraschend war auch der Besuch von Mona aus Deutschland, einer Praktikantin von Pro REGENWALD, die ich dann kennenlernte, als sie vor meiner Haustür im Regen stand. Grade frisch gelandet in Costa Rica und mit wenigen Spanischkenntnissen, führte ich sie ein bisschen ein in das Land und das Leben hier. Mir fiel plötzlich auf, wie sehr ich mich schon an alles gewöhnt habe, in den wenigen Monaten hier, wie mir einige Dinge gar nicht mehr auffallen. So genoss ich es durch die neue Bekanntschaft meine Umgebung, wieder mit anderen Augen zu sehen: alles neu, offen betrachtend verwunderlich:


Der unglaublich laut klappernde Bus, die selbstgebastelten Schilder in den Läden, verschwundene Gullideckel, in und auf Pappkartons schlafende Menschen, natodrahtumwickelte Grundstücke, das Gekreische der Stadtpapageien, Ampeln und Autos auf dessen Signale man sich nie verlassen darf, die bunt bedruckten Geldscheine, eine der wenigen bzw. einzigen blonden Menschen auf der Straße zu sein, die Kommentare und Blicke der Männer…


Samstag morgen machten wir uns auf den Weg zur „Feria Verde“, ein Biomarkt etwas außerhalb der Stadt. Mit dabei war auch Pri, eine costaricanische Freundin, die sich kaum einkriegte so begeistert war sie von all dem, was die Feria bietet. Sie freute sich total, dass Menschen mit Stoffbeuteln, statt den vertrauten Plastiktüten unterwegs waren, dass die Stände aus Bambus und wiederverwendeten LKW-Planen bestehen, Leute ihren Müll zum Recycling abgeben können und kein Fleisch verkauft wird. Das hört sich für einige von Euch vielleicht total normal an, aber hier entspricht das eher nicht der Norm.


Pri ernährt sich zum Beispiel als einzige aus ihrem Dorf vegetarisch und ist damit schon ziemlich rebellisch. Nachdem ich gesehen habe, wie in Panama das Gemüse gespritzt wird und Costa Rica ja auch nicht so leicht zu toppen ist mit seinem Pestizidgebrauch (dazu: Was unser Ananaskonsum mit Grundwasservergiftung zu tun hat… und Costa Ricas Heißhunger nach Pestiziden) bin ich ziemlich froh, dass ich dort auf der Feria ungiftiges Gemüse bekomme. (In Panama musste ich das ungewaschene Selerieblatt, welches ich mir unbedacht in den Mund steckte direkt wieder ausspucken :D) Außerdem kenne ich die kleinen Bauern mittlerweile fast alle und freue mich immer über die netten Gespräche, die freudigen Gesichter – einfach besser als die Kassenroboter.


Für den Rückweg hatte ich mir eine kleine Stadtrunde überlegt, um Mona die Parks, die Fußgängerzone und ein paar alte Gebäude zu zeigen, also das Schöne in San José, das man erstmal suchen muss?? Wir trafen auf Musik und Tanz auf den öffentlichen Plätzen und ich war ganz überrascht, dass so viel los war.










Der Höhepunkt des Tages war das Konzert von Sonambulo, eine Band, die tropischen Rhythmen vermischt und dabei etwas Neues, Einzigartiges und Tanzbares erschafft, wovon ich nicht genug bekommen kann. Doch dieses – für mich mittlerweile dritte – Konzert, welches wir uns anschauen wollten, war ganz anders als gedacht…


Angekommen im Museum der Kinder (Museo de los Ninos), eine gelbe Ritterburg, die mal ein Gefängnis war, dachten wir erst, wir hätten uns mit dem Ort vertan. Wir standen plötzlich mitten in dem größten Event für Architektur in Costa Rica!


Alle um uns herum waren in Abendgarderobe gekleidet, verschiedene Bauprojekte wurden ausgestellt, Kellner in Anzug und Fliege schenkten Wein aus und verteilten feine Häppchen. Völlig underdressed und verwirrt schauten wir uns um auf der Suche nach dem Konzert. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass alle uns anschauten – ganz offensichtlich gehörten wir nicht zur Veranstaltung! Das hielt den kleinen Kellner nicht ab uns trotzdem umsonst Wein einzuschenken.


Irgendwann hatten wir doch die Hintertür zum Konzert gefunden: Das Bild weniger rum stehender Menschen vor der Bühne, das sich uns bot, verwirrte mich noch mehr. War die Band noch am proben? Bei den letzten Konzerten war es nämlich immer sooooo unglaublich voll, dass die Schlange bis weit in die California ( Straße mit vielen Bars) reichte, sogar die Straße gesperrt wurde und am Ende die Hälfte nicht mehr in die Bar passte. Die Leute tanzten alle und es war eine reinste Fete.


Im Gegensatz dazu, kamen mir die Leute hier auf diesem Konzert eher vor, wie verklemmte Deutsche, die erstmal einen höheren Alkoholspiegel brauchen um ihr Tanzbein zu schwingen. Mona und mir war das egal, wir brachen mit diesem Vorurteil und gingen richtig ab. Das freute wahrscheinlich auch den kleinen Kellner von vorher und so kam er ständig zurück um unsere Gläser wieder aufzufüllen.


Mit jedem Lied tauchten dann auch die Ticos (so werden die Costaricaner genannt) mehr auf. Dazu muss man wissen, dass Tanz und Musik hier eigentlich eine wichtige Rolle in der Kultur spielt. Am Schluss formte sich dann aus der Meute eine Polonese, in der ich angesprochen wurde, ob ich eine Freundin von Max sei. Ja, seit kurzen, 3 Wochen ungefähr, als er mich im Bus angesprochen hatte, wir uns auf der Feria Verde wieder trafen und dann spontan beschlossen zusammen an den Strand zu fahren. Sein Mitbewohner war also auch hier. Max hatte ihm Fotos vom Strandwochenende gezeigt, wodurch er mich erkannt hatte. Aber uns fiel dann auf, dass wir uns ja schon vor einiger Zeit auf einer Enchichada gesehen hatten (eine Veranstaltung auf der Chicha, ein traditioneller, gegorener Maissaft getrunken wurde und der Erlös an die Indigenen in Costa Rica ging).


So hatten wir dann gleich eine Mitfahrgelegenheit in die Calí gefunden, wo wir dann noch Max wieder trafen. Einige der Architekten von vorher, waren da und sprachen uns an. Wir waren ja jetzt bekannt?? Ich genoss, wie locker hier ohne große Planung immer ganz spontan ein ziemliche lustiger Abend entsteht und man Leute durch Zufall trifft, weil die Hauptstadt einfach so klein ist. Leider ging der Abend dann doch schneller vorbei, weil Max Mitbewohner beklaut wurde, der Größte der Gruppe…


Sonntag fuhren Mona und ich in die Sabana, den größten Park von San José, wo früher mal der Flughafen war. Unvorstellbar, so nah an der Stadt dran! Ich setzte mich an das Ufer des dreckigen, künstlichen Sees und beobachtete die vergnügten Kinder in der Abendsonne. Es berührte mich zu sehen, wie ihre Fantasie aufblühte in dem kleinen Stückchen angelegter Natur, sie mit Stöckchen und Müll spielten und völlig zufrieden wirkten. So viele Stadtkinder sind in ihren Häusern eingeschlossen, ohne Garten und kaum Kontakt zur Natur, von Plastikspielzeug überhäuft und mit Fernsehdauerberieselung still gestellt…


Mona und Marleen beschlossen ins Kino Magaly zugehen und trafen dort Max?? Wie immer stießen wir durch „Zufall“ auf andere Bekannte, wie Julia, mit der Max und ich am Strand waren. Der renommierte Film IXCANUL beeindruckte mich sehr mit ausdrucksstarken Bildern und einer authentisch wirkenden Spiegelung des Lebens Indigener in Guatemala, nahm mich mit in eine andere Welt…


Sehr empfehlenswert!


Es dauerte erstmal bis ich wieder nach dem intensiven Film im Jetzt ankam und mich in meiner Lieblingsbar wieder fand, dem Lobo Estepario (Steppenwolf). Der Ort ist eine Homage an Hermann Hesse und hat einige Elemente des Buches kreativ in die Räumlichkeit integriert. Mit seinem gemütlichen Kerzenlicht und mit Zitaten versehenen Tafelfarbenwänden ist er Treffpunkt von den Poeten der Stadt. Perfekter Abschluss eines tollen Wochenendes in einer Stadt, die es mir sonst nicht so einfach macht, sie zu mögen.

BlogNo:30

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