Zwischen Emanzipation und Tradition

von fabian_11  

Meine Gastmutter Erlinda ist vierundfünfzig Jahre alt, ein wenig pummlig und herzallerliebst. Wer sich jetzt jedoch eine gemütliche Hausfrau mit niedrigem Bildungsstandard vorstellt, sollte vielleicht von seiner postmodernen, eitlen Rössin absteigen und einen näheren Blick riskieren. Hier in Lateinamerika ist es wohl möglich, als Frau sowohl die Familie zu versorgen und sich gleichzeitig sozial zu engagieren.

Erlinda beispielsweise ist neben ihrer Funktion als meine Gastmutter auch meine Kontaktperson zu den lokalen Bewegungen ‚amuda’, der ‚Assoziation der geeinten Frauen für Wachstum in Afrika’, sowie der ‚frente nacional de sectores afectados por la expansión pinera’, einer Organisation, die die Auswirkungen der Ausbreitung der Ananasplantagen beobachtet, registriert und einzudämmen versucht. Darüber hinaus ist sie Teil der siebenköpfigen Gemeindeverwaltung und arbeitet derzeit an einem Gesetzesantrag, der ein unbegrenztes Verbot für die Ausbreitung der Ananasplantagen in der Nähe von Guácimo, ihrem Ort, zum Ziel hat.

Zugegeben, es handelt sich nicht um den Kontinent Afrika, sondern um ein kleines Dörfchen vor den Pforten Guácimos, dessen Einwohner eben dunkler sind als der Durchschnitt der hiesigen Bevölkerung, aber ich finde es dennoch erstaunlich. Früher hat sie auch an Demonstrationen gegen das TLC-Handelsabkommen mit den USA teilgenommen, ebenso an Versammlungen, in denen die Problematik der Erzförderung erörtert wurde.

An ihrer Badezimmertür hängt ein Poster, es propagiert Mindestlöhne, geschlechterunspezifische Löhne, Mutterschaftsurlaube und weitere Ziele der Arbeitnehmer in Costa Rica.

Wenn man sie dazu befragt, lächelt sie und reicht einem Texte mit klangvollen Namen wie ‚Die Ausweitung der Ananasmonokultur zu Lasten der Menschenrechte’ oder zieht ihr Photoalbum hervor, damit man darin stöbern kann. Sie selbst kann man mit Keksen dazu ködern, etwas zu den Jahrzehnten costaricanischer Geschichte preiszugeben, die darin festgehalten sind. Denn sie ist, wie für Frauen hier üblich, sehr bescheiden. Will man mit ihr Geldangelegenheiten klären, überträgt sie dies ihrem Sohn. Dafür legt sie sofort los, Früchte zu schälen, entkernen und auszupressen, sobald man unvorsichtigerweise das Wort ‚Jugo’ (Saft) ausspricht. Viermal täglich steht sie in der Küche und bereitet Mahlzeiten vor, darüber hinaus wäscht sie, putzt und fegt. Zusätzlich ist sie Ansprechperson für ihre Enkel, wenn diese zu Besuch sind und war wohl selbiges auch für ihre eigenen vier Kinder. Darüber hinaus erledigt sie noch alle anderen Pflichten, die sie in ihrer Funktion als Ratsmitglied betreffen und hat dennoch einige nette Worte für jeden übrig.

Dabei entspricht sie aber nicht dem westlichen Klischee einer Frau, die versucht, den Spagat zwischen Arbeit und Familie zu bewältigen, daran scheitert, es allen recht machen zu wollen und der letztendlich in einschlägigen Bestsellern dazu geraten wird, mehr Prioritäten zu setzen. Denn diese hat sie: wenn sie mal länger arbeitet, muss eben mal Mikrowelle bemüht zu Rate gezogen werden und jeder spült selbst ab, dennoch geht sie bei ihrer Rückkehr wieder in ihrer Rolle als Mutter auf und schafft so eine Atmosphäre der Sicherheit. Ich möchte einen solchen Lebenswandel keineswegs als den besten postulieren, noch ihn empfehlen, aber ich will behaupten, dass es trotz gegenteiliger Meinungen möglich ist, als Frau so zu leben und glücklich zu sein.

Ich will mit diesem Text diese bemerkenswerte Person einfach nur festhalten. Einige Frauen hier bewältigen neben dem Beruf eine Familie und müssen nicht darüber klagen. Einerseits ist die Schwere ihrer Aufgabe natürlich durch ihr traditionelles Rollenbild abgemildert, andererseits organisieren sie sich aber auch einfach so gut, wobei ihnen eine in Industrienationen abhanden gegangene Ruhe innewohnt, dass sie das alles mit vergleichsweise wenig Aufwand schaffen. Sie leisten großartiges und haben mich sehr beeindruckt.

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