San José: Ein Spaziergang

von gustav_11  

Ich verlasse das Haus und bewege mich Richtung Stadtzentrum. In den Vororten ziehe ich an braunen Flüssen vorbei, in denen mehr Müll als Wasser zu sein scheint und an dessen Rändern Häuser stehen die nur auf den letzten Anstoß zu warten scheinen, sich in den Abgrund zu stürzen. Die Stadt präsentiert sich mir trotz strahlendem Wetter in einer dunkelgrauen Grundstimmung. Woran liegt das?

Die Häuser sind alle ohne Rücksicht auf Harmonie in den grellsten Farben angestrichen und doch verbirgt sich jedes dieser einzigartigen abstrakten Meisterwerke hinter einer Mauer aus Eisen und Stacheldraht. Doch selbst diese Mauern vermögen nicht den im besten Fall desolaten Zustand der meisten Häuser zu verbergen. Viele Wände zeigen klaffende Risse und die Wellbleche auf dem Dach sind notdürftig mit Nägeln fixiert. Zwischen den Gitterstäben erhascht man ab und zu mal einen Blick auf die Bewohner, doch meistens wird dieser von zugezogenen Vorhängen oder runtergelassenen Jalousien blockiert, die nicht nur das Eindringen fremder Blicke verhindern, sondern auch dem Tageslicht jede Möglichkeit nehmen, das Innere zu erhellen, so dass eigentlich jedes Zimmer mit Kunstlicht beleuchtet werden muss. Meine Stimmung ist demnach sehr häufig auf einem Tiefpunkt und nur ab und zu, wenn ich die Gelegenheit habe auszubrechen und etwas Sonne zu spüren, scheint die Last auf meinem Gemüt sich etwas zu heben.

Vorbei geht es an Supermärkten und Klamottenläden, an Bushaltestellen und Parkplätzen, alle bis zum Bersten gefüllt mit Menschen, Hunden, Autos, Bussen und LKWs.

Vorbei geht es an den zahlreichen Stadtparks, selten größer als ein Fußballfeld und in etwa genauso natürlich, umbraust vom nicht enden wollenden Stadtverkehr. Ab und an glaubt man den Hauch von Vogelgezwitscher zu vernehmen, nur um dann von Lautsprecherboxen enttäuscht zu werden, die Adlergeschrei imitieren, um vergeblich die unzähligen Tauben zu vertreiben, die es einem fast unmöglich machen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, ohne einen Flügel darunter zu zerquetschen.

Ich lasse die Vororte hinter mir und gelange ins Stadtzentrum. Hier gibt es eine Fußgängerzone, die etwas Schutz vor den Autos gewährt und in der schreiend bunte Werbetafeln versuchen, das Grau im eigenen Leben zu vertreiben, in dem sie einem Lösungen durch den Kauf des richtigen Produktes anbieten. An meiner Körpergröße und meiner Haarfarbe werde ich sofort als Fremdling erkannt und zum bevorzugten Ziel von Taxifahrern, Drogenhändlern, Sprachlehrern, Prostituierten, Polizeikontrollen und Straßenhändlern, die mir ihr Ware oder Dienstleistung aufdrängen und ein gemütliches Schlendern unmöglich machen. Mit zielstrebigen Schritten begebe ich mich von Ziel zu Ziel, um möglichst wenig „Angriffsfläche“ zu bieten. Wage ich es doch, länger als 5 Sekunden stehen zu bleiben, werde ich sofort umringt von einer Traube Menschen, aus der es, einmal erst hineingeraten, fast unmöglich ist zu entkommen, ohne etwas Geld zu verlieren. Habe ich es dann doch geschafft werde ich von den Schreien und Schmähungen der anderen verfolgt, die nicht von mir profitieren konnten und meine Stimmung sinkt auf einen weiteren Tiefpunkt.

Verfolgt werde ich vom Schreien der Händler, den hupenden Autos und der lauten Musik, die aus den Geschäften dröhnt, wobei die Lautstärke das einzige ist, wobei sich die Läden einig sind, während sich die unterschiedlichen Rhythmen und Harmonien zu einem ohrenbetäubenden Klangteppich verweben, der über der Straße hängt.

Manchmal suche ich vergeblich nach einer Oase der Ruhe im ständigen Lärm der Stadt, doch vergeblich biege ich um hundert Ecken, nur um dann am Ursprungsort wieder dem Lärm ausgesetzt zu sein. Ein ständiger Kloß sitzt mir im Hals, der mir das Schlucken und Atmen erschwert und der Smog der allgegenwärtig in der Luft hängt, hilft nicht wirklich, ihn zu lösen.

Zurück an der Bushaltestelle sehe ich meinen Bus und stürze voller Hoffnung auf ihn zu, nur um dann in letzter Minute enttäuscht zu werden, wenn sich die Türen vor mir schließen und ich eine halbe Stunde an der dicht befahrenen Straße auf den nächsten Bus warten muss. Egal welche Linie ich nehme, immer scheinen mich die anderen Busse zu verhöhnen und fahren häufiger als „mein“ Bus.

Komme ich zurück nach „Hause“ erwartet mich nicht die ersehnte Ruhe und Erholung, sondern das plärren des Fernsehers und das Dröhnen der furchtbarsten Musik aus dem Radio. Auch eingeschlossen in meinem Zimmer und die Ohren mit Ohropax versiegelt, kann ich nicht verhindern, dass die Bilder des Tages weiter auf mich einstürmen und mich auf eine Reise zu nie geahnten Tiefpunkten begleiten. Bis hinein in meine Träume werde ich verfolgt von Werbung, Bildern und Geräuschen und am nächsten Morgen fällt es schwer aufzustehen und alles von Neuem erleben zu müssen. Das Leben ist schwer in der Stadt und ich bemitleide die Menschen, die ein Leben lang nichts anderes sehen.

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