Es wird Tag irgendwo in San José

von gustav_11  

Es ist noch dunkel, als ich früh morgens das Haus verlasse. Die ansonsten überfüllten Straßen liegen wie verlassen da und eine ohrenbetäubende Stille erfüllt die Luft. Es liegt eine bedrohliche Spannung darin, wie in der Ruhe vor dem Sturm. Am Horizont türmen sich dunkle Wolken zu riesigen Ungetümen auf, die nur darauf warten zu scheinen, die Stadt in ihre Fänge zu nehmen.

Durch die leeren Straßen pfeift ein eisiger Wind der die zahllosen Tüten, Papiere und sonstigen Müll durch die Luft wirbelt und jedwede Wärme aus dem Körper zu saugen scheint. Die Gassen sind erfüllt von dem Gestank nach kaltem Fett, Urin und anderen Exkrementen. Dazwischen erkennt man schemenhaft die Umrisse von schlafenden Menschen und Hunden, eingepackt in Pappkartons und zerschlissenen Decken. Ab und an zerreißt ein leises Stöhnen oder Schnarchen die heilige Stille, gefolgt von einem leisen, unheimlichen Kleiderrascheln.

Die Straßenverkehrsregeln, die auch sonst eher wenig Beachtung finden, scheinen um diese Zeit nicht zu existieren. Zweimal höre ich in der Ferne das Quietschen von Reifen und ein lautes Krachen von Blech auf Blech, gefolgt von einem Hupkonzert und Schmährufen. Kurz darauf ist es wieder Still als ob nichts gewesen wäre. Alles Unheimliche wird um diese Zeit von der Dunkelheit mit einer zusätzlichen, düsteren Aura versehen, Schatten scheinen sich zu bewegen und verformen sich in meiner Fantasie zu Greifarmen und Schlünden mit spitzen Zähnen. Auch die leise sirrenden Straßenlaternen vermögen es mit ihrem flackernden Licht nicht die dunklen Gassen zu erhellen.

Ich streife vorbei an leeren Straßenzeilen und Stadtparks. Ich habe das ständige Gefühl beobachtet und verfolgt zu werden. Die dunklen Fensterhöhlen zu beiden Seiten der Straße scheinen mir mit ihren Blicken zu folgen und ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Ich höre immer wieder Schritte, doch wenn ich mich umdrehe, scheint niemand da zu sein. Ein Hund sitzt stumm auf dem Gehsteig und folgt mir träge mit seinem Kopf. Schnell versuche ich dieses Hindernis hinter mich zu bringen, im Kopf die Geschichten von tollwütigen Tieren, die bevorzugt einzelne Personen angreifen die ihnen zu nahe kommen. In einer schmalen Gasse kommt mir langsam ein dunkler Schemen entgegengetorkelt und ich bleibe stehen und halte den Atem an. Keinen Meter entfernt schlurft der bedauernswerteste Mensch vorbei, den ich je gesehen habe und hinterlässt einen Geruch nach schalem Bier und ungewaschener Haut.

Am Horizont zeigt sich jetzt ein leichter, goldener Schimmer und auf einmal verändert sich die Geräuschkulisse und ich brauche eine Weile bis ich erkenne was es ist, was da auf einmal durch die Lüfte tönt. Ich höre nach langer Zeit endlich wieder den Gesang von Vögeln, die voller Vorfreude den neuen Tag ankündigen. Mir steigen Tränen in die Augen bei diesen zarten Anzeichen von unschuldiger Natur, inmitten der Straßenschluchten San Josés.

Der unwirkliche Moment vergeht viel zu schnell. Die ersten Lastwagen übernehmen die Straße, um ihre Läden zu beliefern und die Zahl der Busse verdoppelt sich innerhalb weniger Minuten. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten die Spitzen der Telefonantennenmasten und die Stadt verwandelt sich in das gehabte, hässlich graue Ungetüm, als welches ich es kenne.

Mehr zum Tagwerden unter: Es wird Tag irgendwo im Regenwald

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