Ozean der Unkenntnis

von 22 anna_a  

„Doch unser Wissen bildet nur eine Insel in einem Ozean der Unkenntnis. Und wann immer es uns gelingt die Insel zu vergrößern, verlängern wir auch die Küstenlinie, an der wir unserem Unwissen begegnen. “
Schon als ich das Buch, aus dem dieses Zitat stammt, zum ersten Mal gelesen habe

(Stefan Klein, „Das All und das Nichts“- sehr zu empfehlen!), ist mir dieser Satz in Auge gestochen. Ich schätze, das war so, weil es mir einen neuen Blickwinkel auf das Lernen eröffnet hat.

Den Prozess des Lernens stellt man sich ja klassischer Weise so vor: Man liest oder hört etwas über ein neues Thema. Dann beschäftigt man sich auf die ein oder andere Weise damit, schreibt was auf, liest sich das Geschriebene nochmal durch oder vielleicht auch nicht. Was genau auch immer passiert, im Idealfall steht am Ende des Prozesses neu gesammeltes Wissen. Man hat das Gefühl, jetzt schlauer zu sein als davor, ein kleines bisschen mehr von der Welt zu verstehen.

So. Wenn man jetzt aber das oben genannte Zitat betrachtet, fällt einem die Kehrseite dieses Prozesses auf. Wie Klein das so schön beschreibt, mit jedem angesammeltem Wissenskorn wird man mit unzähligen Tropfen des Unbekannten konfrontiert. Je mehr man weiß, umso mehr merkt man, wie wenig man weiß. Am Ende der Prozesses steht also nicht das Gefühl, mehr von der Welt zu verstehen, sondern eher die ebenso ernüchternde wie vielversprechende Erkenntnis, dass es noch so viel mehr zu entdecken gibt, von dem man bis jetzt noch nichts weiß.

An dieser Stelle könnte man ein wohl viel bekannteres Zitat eines gewissen Griechen nennen, der davon redet, nichts zu wissen - das wäre dann aber bisschen viel des Guten, oder? Wir wissen jedenfalls alle, dass ich nicht als erste Person dieser Welt auf diese Erkenntnis gestoßen bin.

Aber zum ersten Mal in meinem Leben werde ich tagtäglich mit dieser Erkenntnis konfrontiert.

Konkret begegnet mir mein persönlicher Ozean des Unwissens z.B in ganz simpler und doch allgegenwärtiger Form: Das Spanisch.

Ich sag euch, manchmal fühlt es sich wirklich an, als würde ich in einer Flut aus Wörtern schwimmen und mich irgendwie mit meinen eher dürftigen Schulspanischkentnissen über Wasser halten.

Aber das Bild eines Ozeans ist für die Sache mit dem Spanisch eventuell nicht so angemessen; vielleicht ist es ist eher wie ein Schwimmbecken, dass sich jetzt noch unglaublich groß anfühlt aber nach einiger Zeit plötzlich viel kleiner und übersichtlicher wirkt.

An anderen Stellen kann man aber auf jeden Fall von einem Ozean reden, den es zu entdecken gilt.

Ich versuche mal, das ein bisschen genauer zu erklären:
Meine Arbeit im CAP (Centro de los Amigos para la PAZ) besteht gerade noch darin, mich mit der Geschichte und Entstehung dieser Einrichtung auseinander zu setzen. Bei einer Friedens- und Menschenrechtsorganisation, die in Zentralamerika sitzt und arbeitet, ergibt sich da ganz von selber eine riesige Menge an Dingen, die es zu lernen gilt. Allein um die Umstände zu verstehen, die in den 80er Jahren zur Gründung des CAP führten, könnte man sich wochenlang mit mehreren Hundert Jahren Geschichte von Nicaragua, El Salvador, Guatemala und Co beschäftigen. Aber auch, wenn man nur die letzten 60 Jahre anschaut, hat sich da verdammt viel bewegt.

Und es ist ja nicht so, als wären die einzigen Akteure, die es kennen zu lernen gilt, die Länder selber. Nein. Onkel Sam ist auch immer da, mal mehr, mal weniger versteckt. Da tut sich also schon die nächste Bucht auf, die es zu erforschen gilt. Beim Lesen stolpert man immer wieder über im Nebensatz genannte Personen oder Ereignisse, die wiederum einen weiteren Tag Recherche vertragen könnten. Was das alles nicht gerade beschleunigt, ist die Tatsache, dass der Großteil der Materialien, die es zu den Themen hier so gibt – Überraschung - auf Spanisch geschrieben ist.

Das Blöde daran, sich mit Geschichte auseinander zu setzten, ist außerdem, dass in jedem Moment, in dem man sich in irgendeinem Artikel über die Sandinistas oder die Reagan-Doktrin vergraben hat, in der Welt um einen herum schon wieder neue Sachen passieren, die man eigentlich auch mitkriegen will. Ich hab da neulich ein sehr passenden Satz zu gelesen „Es ist so anstrengend, dass wirklich jeden Tag was passiert“ (Ursprung El Hotzo...schaut auf Twitter nach). Er beschreibt ziemlich passend, wie ich mich grade fühle. Wie wenn man zu spät mit den Hausaufgaben anfängt und dann, während man noch beschäftigt ist, gleich die nächsten bekommt. Nur hätte ich leider ein paar Tausend Jahre früher geboren worden sein müssen, um rechtzeitig anzufangen.
Jetzt bleibt mir nur noch zu sagen: besser spät als nie.

Viele der Themen, mit denen ich mich beschäftige, waren mir davor vielleicht nicht gänzlich unbekannt, aber wirkliches Wissen hatte ich auch nicht: Kolonialismus, Neo-Kolonialimus, Imperialismus, verschiedenste Kriege, Konflikte, Diktaturen. Die Rolle Europas und der guten alten USA und und und. Man will das gar nicht zugeben, aber mal ehrlich: wie viel können wir über die Geschichte Zentral- der Südamerikas erzählen, außer dass es irgendwie nicht gut war, dass Spanien den Kontinent entdeckt hat? Wer hat schon Mal was von der School of Americas gehört? Was wissen wir über die Ausmaße der Ausbeutung von Mensch und Natur in so vielen Teilen der Welt? Verstehen wir, auf wie vielen Ebenen Dinge falsch laufen, weil sich die falschen Leute eingemischt haben? Nicht wirklich. Vielleicht will man es auch lieber gar nicht wissen. Das ist wohl eine Art natürlicher Abwehrmechanismus.
Aber das ist schlecht. Gerade als jemand, der aus Europa kommt, sollte man zumindest den Anstand haben, sich mit dem ganzen Sch?/%$ zu beschäftigen, den unseren Vorfahren überall in der Welt so angestellt haben - und den wir mit Verlaub auch immer noch anstellen. Aber das ist vielleicht ein Thema für einen eigenen Blogbeitrag.

Es ging mir hier jedenfalls schon mehr als einmal so, dass ich mich mit Leuten unterhalten habe, in Diskussionsrunden dabei war etc. und es einfach irgendwie komisch war, aus Europa; aus Deutschland zu kommen. Es waren überhaupt nicht die Leute, die sich dementsprechend mir gegenüber verhalten hätten, sondern eher die Natur der Sache.

Wenn es um die Wasserverschmutzung in den indigenen Communities geht, die unter anderem durch den Ananas-Anbau so schlimm ist, wie sie ist, und man dann an unsere Supermärkte in Deutschland denkt, in denen man die ein oder andere Ananas aus Costa Rica finden kann, wird einem doch ein bisschen schlecht, ehrlich gesagt. Es ist so absurd. Alles ist so absurd. Unsere ganze Gesellschaft beruht auf einem so absurden, zerstörerischen, unsinnigen System. Das wird mir hier jeden Tag vor Augen geführt, viel mehr als in Deutschland. Das ist anstrengend und frustrierend und macht mich nicht selten wütend oder traurig, aber es ist auch unglaublich wichtig, sich damit auseinander zu setzten. Zu lernen. Zu versuchen, zu verstehen, was in der Welt so los ist.

Vielleicht ist es das, warum es mir wichtig war, diesen Blogbeitrag zu schreiben. Um festzuhalten, warum dieses Jahr für mich - für uns Freiwillige – so wichtig ist.

Natürlich lernen die anderen Freiwilligen in ihren Einsatzstellen ganz andere Sachen als ich in meiner, aber das „was“ und „wie“ ist letzten Endes nicht das wichtigste, sondern das „dass“. Nicht nur was gelernt wird ist wichtig, sondern vor allem, dass gelernt wird.

Um etwas ändern zu können, muss man erst mal wissen, dass die Notwendigkeit einer Veränderung besteht. Aber das reicht nicht. Wissen kann man auch schon in Deutschland, dass was anders werden muss. Das eigentlich alles anders werden muss.

Begreifen können das aber die wenigsten. Sonst wäre unsere Welt hoffentlich anders, als sie im Moment ist. Man muss begreifen und sich dann entsprechend verhalten. Und ich glaube, dieses Jahr und die ganzen Erfahrungen, die es bereit hält, sind für uns eine Riesenchance, um zu begreifen.

Jetzt muss ich nur noch lernen, wie ich auch andere, denen diese Möglichkeit nicht vergönnt ist, an diesem Prozess teilhaben lassen kann. Da, seht ihr? Schon wieder was Neues zu lernen. Es hört einfach nicht auf.

Was ein Glück!

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