Ein Bericht. Dreimal.

von 22 dani  

Bitte lies diesen Bericht nicht. Wenn du dich doch dazu entscheidest,n, dann bis zum Ende! Vielen Dank!

Hätte ich den Bericht über Las Vegas nach den ersten 5 Tagen (drei davon war ich sehr stark krank und lag nur in einer von Tieren befallenen Hütte aus größtenteils Palmen) geschrieben, sähe dieser wahrscheinlich wie folgt aus:

Las Vegas: damit meine ich nicht die von Zauberern und Musikern geprägte Glücksspiel-Stadt in Nevada, USA. Ich meine ein kleines Dorf im Süden von Costa Rica aber auch nicht eines der Las Vegas‘, die man bei der Suche bei Google Maps findet. Ich meine eine kleine indigene Community, die eben auch diesen Namen trägt. Man lebt hier wie in der Vergangenheit. Der Alltag, die Häuser (wenn man diese so nennen kann), das Essen, einfach nahezu alle Lebensumstände. Das Einzige, was Vegas vielleicht unterscheidet von dem Leben von vor 500 Jahren ist ein Dach aus Wellblech, eine Gasflasche und ein Gasherd und dass man ab und zu das Handy verwendet. Naja, und die Schule halt, da dies ja auch der einzige Ort ist an dem es Strom gibt. Von Handy empfangen oder sogar WLAN ist hier noch nicht einmal etwas zu spüren. Um mit den Verwandten oder Bekannten Schreiben zu können, muss man auf einen eine halbe Stunde entfernten Berg laufen. Dort hat man dann, wenn man Glück hat mobile Daten. Hier laufen Hühner, Enten, Gänse eine abgemagerte Katze, zwei abgemagerte Hunde einfach frei in der Küche und dem Essbereich herum. Die springen auch -also die Katze, die Hühner, Küken, der Hahn und die Gänse- gerne mal in die Spüle, an den Herd (oft kocht man auch überm offenen Feuer), und aufs fertige, herumstehende Essen. Das Leben hier ist super intensiv. Man lebt wie vor hunderten von Jahren. Kaum Hygiene, ein Plumpsklo, sich duschen bedeutet einen Eimer Wasser sich über den Kopf zu schütten in einer „Kabine“ aus verrostetem Wellblech und alten Planen. Der Boden ist überall Matsch oder getrocknete Erde. In der Hütte der Familie altes Holz. Wenn beim Essen etwas herunterfällt, kann dies nicht mal wieder aufgehoben werden, da auf eben diesen Boden, auf den es fiel, auch die Hühner, Gänse und Küken kacken und das Baby darauf pinkelt. Zum nachts Pinkeln gehen muss ich Gummistiefel anziehen, weil ich Schlamm unter der Hütte und neben dem „Bett“ (eine Schaumstoffplatte auf Holz gelegt, durch die man nur das Holz spürt) Schlamm und Wasser habe. Keine Hose bleibt mehr als 2 min. sauber. Es regnet den ganzen Tag, jeden Tag. Ich vermisse mein zuhause und die westliche Zivilisation. Zu essen gibt es fast immer nur Reis. Oft mit so komisch schmeckenden Wurzeln oder Spagetti mit ganz wenig „Soße“ besäumt. Ich freue mich jetzt schon auf die Schwäbische Küche zuhause.





Hätte Ich denselben Bericht nach 20 Tagen in Las Vegas geschrieben, also 15 Tage nach dem oberen Bericht, sähe dieser womöglich so aus:

Ich wache auf. Über mir der Regen, der nur von Palmenblättern davon abgehalten wird, mir ins Gesicht zu peitschen. Hinter mir, knapp neben und unter meinem Kopf läuft eine Hühnerfamilie. Der Regen prasselt auf die Bäume und auf eben diese Hütte, in der ich liege. Wie jeden Morgen bleibe ich nach dem Aufwachen noch 30 Minuten liegen, ohne das Handy in die Hand zu nehmen. Das hat eh kein Akku mehr und liegt zusammen mit der entladenen Powerbank und den Kabeln irgendwo in meinem immer stärker schimmelnden Klamottenhaufen. Ich setze mich, die Füße gen Boden baumelnd auf meiner Holzbridge, welche für die letzten und kommenden Tage mein Bett darstellt. Mein Körper und die sechs Holzbretter trennt nur ein ca. fünfzehn Centimeter breite Schaumstoffplatte, die als meine Matratze fungiert.
Mit dem großen Zeh meines linken Fußes angele ich den in den Schlammboden unter meinem Bett gefallenen Gummistiefel, vorsichtig aufgerichtet klopfe ich ihn aus und leuchte mit meiner akkuschwachen Lampe in ihn herein. Ich suche Kakerlaken und Spinnen, doch werde zum Glück in keinem Stiefel fündig. Ich stelle mich in den Linken und bald auch in den rechten Schuh. Während die Morgenkälte langsam vorüber und meine Wenigkeit durch den Schlamm zum Esstisch geht, bin ich zufrieden mit meinem Leben. Am Tisch angekommen gibt es heißes Wasser, in welches man Schokoladenpulver kippt und es gibt ungetoastetes Toastbrot. Ich setze mich hin, zu den anderen Freiwilligen, lese ein Buch, schreibe in meiner Selbstbiografie oder bleibe einfach nur sitzen und genieße die außergewöhnliche Situation, in der ich mich befinde. Ob Hühner in der Küche, Küken in der Spüle oder Enten im Essbereich - alles hier ist anders. Das ist großartig. Kein Kleidungsstück wird hier unverschimmelt herauskommen, aber das ist OK. Keine Hose bleibt sauber, weil es nahezu immer regnet und schlammig ist. Auch das ist OK. Kleine, ein Zentimeter lange und haardünne Würmchen entdecke ich gerade auf dem Esstisch. Sie sind manchmal orange, manchmal schwarz. Ich entdecke sie auf eben dem Tisch, auf dem gestern noch das Baby der Familie nackt herumgekrabbelt ist und auf dem ich seit Tagen und die kommenden Tage esse. Nach dem Frühstück, das diesmal nicht nur aus Reis und Spagetti bestand, sondern noch gekochte Yucca (so eine Wurzel aus der eigenen Finca. Ist auf jeden Fall „essenaufwertend“) beinhaltete, ging es an die Arbeit. Holzplanken und Palmenblätter aus dem Wald holen, Zement mischen, Ranches nageln oder Kies tragen. Ich habe Lust mich auszupowern und ich weiß, dass ich das heute Abend geschafft haben werde.
Vor dem Abend allerdings noch ein Mittagessen, welches auch größtenteils aus Reis besteht. Das ist aber ok, anders als vor ein paar Tagen sehne ich mich nicht mehr an die Küche, die ich gewohnt bin. Ich habe in der letzten Zeit hier eine Einstellung erlernt, in der ich recht sorgenfrei vor mich hinlebe, das ist superschön. Ich habe keinen Stress vor Terminen: „Wenn ich es jetzt nicht schaffe, schaffe ich es wann anders“, „das wird schon irgendwie werden“…
Auch wenn, beziehungsweise gerade weil, die Lebensumstände nicht so zivilisiert sind, wie ich es gewohnt bin, sorgt mich recht wenig. Keine Termine, Mangels Empfang und Strom keine News, keine Nachrichten, keine Zoomcalls, keine Serien und kein Instagram. Zeit zum Lesen, reflektieren, erleben und festhalten. Und das alles ganz, ganz arg entschleunigt. Ein großartiges Leben.





Hätte ich denselben Bericht eine Woche nachdem ich wieder in San José im Casa Ridgway Hostel angekommen bin geschrieben, sähe dieser wahrscheinlich wie folgt aus:

Ganze 7 Wochen habe ich nun Las Vegas gelebt. Ich spare mir billige Witze wegen dem Namen, den man von der Stadt in Nevada, US kennt. Ich spreche von einer kleinen, indigenen Community in Costa Rica an der Grenze zu Panama. Mitten im Regenwald. Das Leben dort ist einfach, oder das sollte ich sagen, unser Leben ist kompliziert? Seitdem ich wieder ein paar Tage in San José lebe, werde ich überflutet von Nachrichten, Emails, Anfragen, Aufgaben und Arbeit. In Las Vegas gab es nicht weniger zu arbeiten, es handelte sich aber vor allem um körperliche Arbeit. Mangels Strom -den gab es nur an der Schule, und man musste dafür den Unterricht stören- und Empfang -abgesehen davon, dass man auf einem 30 min. entfernte, anstrengend zu erklimmenden Berg welchen hatte- fiel die ganze Informationsflut, die man aus unserer westlichen Welt gewohnt ist, weg. Man wachte auf, setzte Wasser auf, entweder auf Gas oder auf einem Feuer, um sich Kaffee zu kochen, aß vor allem Preis mit Wurzeln oder Platanos von der eigenen Finca und dann hieß es anzufangen zu arbeiten. Mangels der Möglichkeit alles auf Instagram hochzuladen oder bei Problemen die Eltern nach Rat zu fragen, erlebte man alles -zumindest meinem Empfinden nach- sehr viel intensiver als gewohnt. „Intensiv“ ist vielleicht das falsche Wort, ich meine viel eher „bewusst, aktiv, erinnerungswerter“.
Die Zeit in Las Vegas hat mir außerdem geholfen, meine Werte und Definition von Glück (-seligkeit) neu zu definieren. Ich kann es kaum in Worte fassen, wie arg ich mich gefreut habe, im Hostel mal wieder trockene Kleidung, eine warme Dusche und eine Küche ohne Hühner, Enten und Gänse zu haben. Ein Boden unter den Füßen der nicht aus Schlamm und Matsch besteht, keine Notwendigkeit für Gummistiefel. Strom und Internet so viel ich möchte. Wenn ich nicht satt werde, gehe ich einfach in die Stadt und kauf mir noch etwas. Wenn ich nicht in die Stadt will, bestelle ich mir eine Pizza. Wenn ich Lust auf Kino habe, gehe ich ins Kino. Wenn ich mein Handy aufladen möchte, steck ich es in die Steckdose neben meinem Bett und bin nicht auf Öffnungszeiten oder den Terminkalender anderer angewiesen. Meine Kleidung kann ich trocknen und habe somit nicht nur feucht-nasse Kleidung zur Verfügung. Wenn es mir schlecht geht, kann ich meine Eltern anrufen. Wenn ich krank bin (oder werde) einen Arzt nach Rat fragen.
Die Zeit in Las Vegas war toll. Das steht gar nicht in Frage. Ich habe es arg genossen und wollte am Ende auch, ehrlich gesagt, nicht mehr gehen. So ein entschleunigtes und sorgloses Leben hätte ich mir niemals vorstellen können. Interessant das dies nur da möglich ist, wo man auf viele Vorteile unserer Zivilisation verzichten muss.

Kaum bin ich in San José, bin ich krank. Zum Glück habe ich hier Zugang zu einem Arzt.

Paradox.

BlogNo:01

Noch kein Feedback


Formular wird geladen...