Im Taumel des Deliriums

von 22 robert  

Pünktlich zu Beginn der Trockenzeit und zwei Wochen nach meiner Ankunft in Las Vegas erwischte mich etwas, dass mich aus den Latschen haute: ich wurde krank und konnte fast zwei Wochen nicht arbeiten. Für mich war die Krankheit eine sehr große Herausforderung, sowohl körperlich, als auch psychisch.


Alles begann am letzten Oktobertag mit meiner rechten Achsel, die anfing zu schmerzen. In der darauffolgenden Nacht fror (!) ich und mir taten die Knochen weh. Meine schmerzende Achsel verhinderte das Liegen auf der rechten Seite und ich musste in der Nacht fünf Mal auf die Toilette. Meine Achsel, das sonderbare Epizentrum meines Unglücks, schien eine fiebrige Hitze in meinen Kopf und Körper auszustrahlen. Am nächsten Morgen gingen meine hypochondrischen Alarmglocken los: ich bin mitten im Dschungel, so dachte ich fiebertrunken, und es dauert ein bisschen, um hier rauszukommen. Außerdem habe ich meinen Reisepass verloren, bekommt man ohne überhaupt das Recht auf einen Arzt oder gar einen Krankenhausaufenthalt?

Dann fielen mir Krankheiten ein, die ich haben könnte: Dengue, Malaria, Gelbfieber. Oder, so grübelte ich weiter, ich habe eine Blutvergiftung, weil ich mir vorgestern blutige Kratzer von dem rostigen Zaun am Salón eingefangen habe? Oder, schlimmer noch, ich habe Amoeben im Gehirn, weil ich vor ein paar Tagen Wasser in die Nase bekommen habe, als wir Bretter durch den Fluss buchsiert haben? Solche Gedanken wirken erschreckend, vor allem wenn man eine von Schlaf und Krankheit angematschte Birne hat. Und schnell wirken diese Möglichkeiten gar nicht mehr unrealistisch oder sogar wahrscheinlich.

Drei Tage später wurde das Fieber schlimmer und mit jedem Herzschlag wummerte mir ein dröhnender Schmerz in die Schläfen. Marcos verschwand und braute mir einen Heiltrank aus den Ästen und Blättern eines kleinen Busches zusammen, der ironischerweise „hombre grande” genannt wird. Schmeckte nach Erbrochenem, aber dankbar war ich dennoch. Der Tag war grauslig: elendig lag ich in meiner Hängematte und das Fieber stieg, das Wellblechdach über mir schien mich zu rösten. Bedürftig suchte ich einen neuen Platz. Mit meinem Handtuch streckte ich mich unter einem Baum nieder und wähnte mich im Schatten. Genau da wo mein Kopf war- vielleicht bildete ich mir das nur ein- schallerte die unbarmherzige Sonne durch die Baumkrone und immer wenn ich meinen Kopf bewegte, folgte mir der Sonnenstrahl. Mein Gehirn personifizierte diesen heißen Strahl des Lichtes und unterstellte ihm ein gemeines Motiv: er wollte mein Gehirn kochen und jedes bisschen verdampften Verstand in sich aufnehmen, wie ein Dementor des Sonnenlichts. Es sollte nicht enden.

Nach dem Mittagessen floh ich in den Schatten einer der Hütten auf dem Grundstück. Ich hatte auch keinen Nerv, mich mit Menschen auseinanderzusetzen und war in gereizter Sterbenslaune. Auf der Holztreppe sitzend schien mir, ich würde jeden Moment umkippen. Als ob das nicht genug wäre, wischte ich versehentlich einen Haufen Dreck und Sägespäne in meinen vollen Wasserbecher, der eine Stufe darunter stand. Ich musste verzweifeln. Ich taumelte zurück zum Haus um meinen Becher wieder aufzufüllen: Wasser war in diesen Momenten das einzig Gute im Universum. Ich drehte den Hahn auf, dieser spotzelte und röchelte, doch es folgte kein Wasser. Es war ein Alptraum.

Erneut suchte ich einen Schattenplatz. Nachdem ich eine längere Zeit nichts finden konnte, tauchte auf einmal eine alte Hängematte in meinem Sichtfeld auf. Vorher war mir diese nicht aufgefallen, weil sie sich durch ihr Alter und abgeranztes Aussehen fast gänzlich in die Naturkulisse des Gartens integrierte. Aufgrund meiner akuten Pechsträhne war ich mir natürlich sehr sicher, dass die Hängematte meinem Gewicht sofort nachgeben würde. Als das nicht passierte, war ich freudig überrascht und ahnte eine Phase des Ausruhens auf mich zukommen. Die Matte war mir zu klein, aber das war egal. Endlich wirkte auch die Parazetamol, die ich mir zuvor eingeworfen hatte, das Fieber schrumpfte und ich war wieder Herr meiner Sinne. So ging es dann die nächsten Tage weiter und ich fuhr ins Krankenhaus, um mich untersuchen zu lassen.

Während ich auf die Ergebnisse meiner Blutwerte wartete, saß ich vor der geöffneten Tür eines stationären Bereiches, in dem ein sehr abemagerter Junge in seinem Bett lag und lustlos in seinem Essen stocherte. Manchmal schaute der Junge zu mir rüber und etwas in dem Ausdruck seiner dunklen Augen machte mir klar, dass er sehr krank war. Die neun Stunden, die ich in diesem Krankenhaus verbachte, waren geprägt von derartigen Beobachtungen. Am Ende waren die Blutergebnisse uneindeutig und der Arzt versicherte mir, die profunderen Blutwerte per Mail zu schicken in den nächsten Tagen, was nie passieren sollte.

Zurück in Las Vegas war ich davon überzeugt, dass allein dieser tropische, modrige Sumpf, in dem ich mich befand, Grund dafür war, dass ich nicht gesund wurde. Und mich verunsicherten meine Symptome: Kopf- und Knochenschmerzen kannte ich aus Deutschland nicht, wo ich, wenn ich krank war eher von Husten, Schnupfen oder Halsweh geplagt wurde. Ich war in manchen Momenten diesem Ort so überdrüssig und ich war mir zwischenzeitlich sicher, dass ich hierfür einfach nicht gemacht war. Einmal dachte ich über die Möglichkeit nach, dass ich an dem Fieber sterben könnte. Nicht wirklich ernsthaft, aber das Was-wäre-wenn hatte ich unnötigerweise einmal gründlich in meinem Kopf durchgespielt und war danach noch tiefer gesunken. „Törichter Europäer muss sterben, weil der Dschungel ihn nicht haben will. Und seine Sippschaft auch nicht…” Vielleicht haben wir hier auch einfach nichts zu suchen.

Eine Woche und viele Fiebermessungen und Parazetamol später, ging es mir wieder besser. Als ich mich erholte, wurde ich mir in neuer, fieberfreier Klarheit erst der tiefen Täler bewusst, die ich die letzten zwei Wochen leidvoll und allein durchwandern musste. In neuem, noch etwas zögerlichem Elan (ich wollte keinesfalls rückfällig werden), wusch ich einige meiner Klamotten im Bach neben dem Haus. Als ich fertig war, merkte ich, dass ich sogar wieder zu körperlicher Arbeit fähig war, denn nicht weniger ist das Schrubben der Kleidung und das darauffolgende Klatschen auf einen flachen Stein.

Als ich fertig war, nahm ich eine Dusche, um meiner fortschreitenden Menschwerdung Unterstützung zu leisten. Als ich anschließend sauber war, stellte ich glücklich fest: ich war wieder ich.

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3 Kommentare

Kommentar von: Anne [Besucher]  

Du Ärmster..- kommt mir sehr bekannt vor, keine Diagnose zu haben ist furchtbar und klar gibt es in den Tropen noch etwas andere Erreger als in Europa.., wobei die regionalen Ärzte die gängigen Krankheiten im Normalfall auch erkennen.. - Blutest via E-Mail ist ja ein feiner Service, nur schade, dass daraus nichts geworden ist..- da ich vor Jahren auch schon einmal in Las Vegas war hätte mich noch interessiert in welchem Ort der Arzt war und wie Du dorthin gekommen bist.. - ansonsten freut es mich, dass es Dir wieder besser geht und wünsche Dir weiterhin gute Gesundheit für den Rest Deines Aufenthalts..

Kommentar von: Luisa [Besucher]  

Hallo Robert,

wie geht es dir mittlerweile? Ich hoffe, es hat sich alles zum Besseren gewendet und du hast eine gute Zeit?

Ich bin eine zukünftige Freiwillige und muss gestehen, deine Krankheitsgeschichte hier hat mich sehr verunsichert. Respekt an der Stelle, wie du das überstanden hast.

Auf deine Rückmeldung bin ich gespannt, viele Grüße!
Luisa

Kommentar von: robert [Besucher]

Hallo Luisa,

Du scheinst also die sagenumwobene, höchstmotivierte Freiwillige zu sein, die noch nachgeflogen kommt. Lass dich von meiner Krankheitsgeschichte nicht verunsichern. War ungeil, aber habs überlebt und mir gehts schon lange wieder gut. Hatte hier bis jetzt nach nem halben Jahr auch noch nicht wirklich die Scheißerei! Und da meinte Martin, dass das “jeder bekommen wird.” Gut, jetzt wo ichs aufgeschrieben hab, sitze ich ab morgen wahrscheinlich auf der Schüssel.
However, ich habe hier eine gute Zeit. Meißtens.
Bis bald :)


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