Concho’s Tod (TW)

von 22 robert  

Achtung: in dem Text fließt Tierblut; wer Details einer Schlachtung
nicht ertragen kann, sollte hier nicht reinklicken.

In Las Vegas ist es seit jeher Gang und Gebe, am Tag der jährlichen Graduationen in der dörflichen Grundschule ein Schwein zu schlachten. Dieses verbringt das einzige Jahr seines Lebens in einem überschaubaren, 4 m2 kleinen Rechteck, der Boden Beton und die Wände Holzbretter auf dem Schulgelände und wird stets gemästet.

Ich hatte mich bereits seit unserer Ankunft gefragt, warum dieses Schwein so wenig Platz hat, vor allem weil alle anderen Schweine des Dorfes frei durch die Gegend laufen können. Einmal fragte ich Marsiu, warum das so sei. „Es para comer.” Ich fragte mich also, warum jetzt die Tatsache, dass es zum Essen gedacht war, dazu führte, dass es vorher kein schönes Leben haben darf? Aber bald begriff ich: Wenn es sich bewegen kann, wird es nicht fett.

Jedenfalls half ich am Vortag der Graduation in der Schule bei der Vorbereitung: die Räume wurden dekoriert, der Boden gefegt, Feuerholz gehackt und der Rasen gemäht und anschließend gerecht. Während wir gemeinsam den Rasen rechten, kam ich ins Gespräch mit einem Paar aus dem Dorf, die mir unterbreiteten, dass sie am nächsten Morgen das Schwein, das Concho hieß, schlachten würden. Ich überlegte kurz und sagte ihnen, dass ich auch kommen würde, da ich noch nie ein Schwein geschlachtet hatte. Am nächsten Morgen bin ich also um 04.47 Uhr aufgestanden, hab mir die Zähne geputzt und bin zur Schule gestiefelt.

Es war noch dunkel. Zwei Menschen waren schon da; die beiden, mit denen ich mich für 5 Uhr verabredet hatte. Von wegen Tico Time. Aber sind ja auch irgendwie keine Ticos. Obwohl wir pünktlich versammelt waren, dauerte es noch zwei Stunden, bis das arme Schwein starb, da wir daran scheiterten, ein Feuer zu machen, um einen riesigen Topf mit Wasser zu erhitzen. Mittlerweile waren wir zu acht.

Als es dann geschah, war es sehr verstörend: zuerst mussten wir das Schwein aus dem Käfig kriegen, in dem es sein ganzes kurzes Leben verbracht hatte. Es quiekte und schrie angsterfüllt. Es benötigte vier Leute, um Concho von dem Häuschen zu dem Ort zu ziehen, an dem sie sterben sollte. Dort war die Szene schon vorbereitet: auf einem großen, rechteckigen Stück Wellblech lag ein Dolch, daneben eine Axt. Die große Frage war, wer die Rolle des „matador“ übernehmen würde. Scherzhaft waren sich alle einig, dass ich das übernehmen sollte. Am Ende war es Lendor, ein sehr kirchlicher Mensch, der das „Betäuben” übernahm. Er ließ das stumpfe Ende der Axt auf die Stirn des Schweines niedersausen. Das Problem: der Hieb war zu schwach und das Tier nicht bewusstlos. Stattdessen wirkte es grausam verdutzt, nachdem das Eisen auf seinem Schädel niedergegangen war. Mir wurde anders.

Eine Sekunde später, die von einer falschen Stille erfüllt zu sein schien, kreischte es los. Ein anderer Mann, dessen Name ich vergessen habe, nahm den Dolch in die Hand und beugte sich in gemäßigtem Tempo zum Schwein hinunter, wobei mich seine Gemächlichkeit richtig aggressiv machte; das Tier leidete offensichtlich. Dann kam der fatale Teil: der Mann setzte die Klinge am Hals an und schnitt dem Tier den Hals durch, von Ohr zu Ohr. Jetzt wurde das ganze noch schlimmer. Das Tier, immer noch bei Bewusstsein, richtete sich auf und sprang hoch, die Beine rannten durch die Luft. Der Hals des Schweines klaffte auf und Blut spritzte aus der Öffnung. Ich musste mich abwenden. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich, wie das Schwein fixiert wurde und die Klinge erneut in den Schnitt am Hals eindrang, dieses Mal tiefer. Das Fieseste waren die Geräusche, die Concho von sich gab, während sie ums Überleben kämpfte. Es entwickelte sich von einem leidenden, überraschten Kreischen zu einem elendigen Röcheln, als das Tier versuchte, Luft in seine Lunge zu saugen. Doch die Luftröhre war mit Blut gefüllt. Bis sie dann ganz durchtrennt wurde. Mittlerweile lag das Tier auf der Seite und dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, gab es endlich einen letzten, endgültigen Seufzer von sich und starb.

Innerlich war ich richtig sauer auf Lendor, der an der Betäubung gescheitert war. Es ging direkt weiter: das heiße Wasser kam ins Spiel. Jenes wurde nach und nach über den Leichnam gekippt, damit das Fell leichter abzuschaben war. Nachdem das Tier am gesamten Körper enthaart wurde, hängten sir das Schwein kopfüber mit Seilen an einem Baum auf. Dann wurde der Kopf vom Rest des Körpers abgetrennt, in dem er mit einem heftigen Krachen abgedreht wurde und die Wirbelsäule brach. Der Anblick des offenen Inneres des Schweines war sehr gewöhnungsbedürftig. Anschließend wurde die Unter- bzw. Vorderseite des Körpers aufgeschnitten. Das Poloch des Schweines wurde rausgeschnitten und mit einem Seil zugebunden, vermutlich damit der Inhalt des Darmes keine Sauerei machen konnte.

Nachdem der Körper ausgeweidet und die Innereien (Lunge, Leber und Darm konnte ich identifizieren) in einem Sack gesammelt wurden, wuschen wir den Körper mit Wasser und Salz. Dann schnitt der Matador nacheinander die Beine ab. Es folgten die Rippen. Ich brachte die Stücke, die ziemlich viel wogen, zu einem Tisch, wo sich Porfilio (kurz „Porfi”) und Lendor, sowie Marcos, Jorge (genannt „Peña”) und Diana daran machten, von den großen Stücken kleinere Stücke Fleisch und Speck abzusäbeln.

Diese wurden daraufhin in einem großen Topf gesammelt, mit Salz, Brühe und anderen Maggipulvern gepudert und kräftig durchmengt. Nach und nach gaben wir das Fleisch in einem gigantischen Topf mit heißem Öl. Und so wurde aus einem lebendigen Schwein innerhalb von kürzester Zeit verzehrfertige, mundgerechte Stückchen Schweinespeck. Je mehr sich Concho von ihrer ursprünglichen Form entfernte, desto weniger hatte ich Hemmungen, mit dem Körper zu arbeiten und am Ende vergaß ich zeitweise sogar, dass wir mit einer jüngst ermordeten Leiche hantierten.

Von dem Schwein aß dann das gesamte Dorf. Ich haderte, doch machte schussendlich mit. Am nächsten Tag wurden für ein weiteres Fest im dörflichen Salon (einer Veranstaltung, bei der zwei Organisationen Geschenke an die Kinder verteilten) zwei weitere Schweine geschlachtet.

In Las Vegas ist der Dezember kein guter Monat, um ein Schwein zu sein.

BlogNo:03

Noch kein Feedback


Formular wird geladen...