Mit Privatsphäre ist hier nichts.

von 22 anna_l  

Morgens, mittags und abends... 24 Stunden sitzt die Familie beieinander. Freiwillige aus Deutschland kennen das so nicht ..

Die Tür zum Zimmer meiner 30 jährigen Gastschwester ist immer offen, selbst wenn sie schläft. Wenn meine Gastschwester, die in San José studiert, zu Besuch kommt, schläft sie mit meiner anderen Schwester in einem Zimmer, obwohl die Familie noch ein extra Gästezimmer besitzt. Meine 22-jährige Gastschwester ist seit 3 Jahren in einer festen Beziehung mit ihrem Freund, den sie und auch ihre Familie seit ihrer Kindheit kennen. In San José übernachten sie regelmäßig zusammen an einem Ort, dennoch müssen sie, wenn sie in Hojancha sind, getrennt voneinander in ihren Elternhäusern schlafen. Damit sind sie kein Einzelfall.

Platz für Intimität und Privatsphäre als Paar ist damit also wenig. In den meisten Haushalten ist das so. Ich frag mich, wie man seinem erwachsenen, volljährigen Kind noch solche Vorgaben machen kann.

Allerdings ist natürlich grundsätzlich klar, dass die Privatsphäre sehr eingeschränkt ist, wenn man mit seinen Eltern zusammenwohnt, wie es viele sogar mit weit über 30 hier noch tun. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, wie man in dem Alter noch freiwillig zuhause wohnen kann? Irgendwann will man doch auch mal den Raum für sich und seine persönliche Entfaltung und vor allem die Privatsphäre, die ein Auszug mit sich bringt, genießen - oder etwa nicht?

Auf die Frage, warum hier viele in diesem Alter noch zuhause wohnen, kommt oft die Begründung der hohen Mietpreise. Das versteh ich natürlich, ist ja in Deutschland mittlerweile auch ein großes Problem. Nichtsdestotrotz hab ich das Gefühl, dass dem Ganzen auch einfach eine andere Prioritätensetzung zugrunde liegt. Ich glaube viele junge Deutsche ziehen lieber in ein abgeranztes WG-Zimmer und leben mit wenig Geld (siehe auch die ansteigende Armut unter Azubis und Studenten), als ihr Leben lang, bis sie eines Tages heiraten, im Nest ihrer Eltern zu bleiben.

Was sich hinter der Oberfläche verbirgt sind offensichtlich die unterschiedlichen Werte Deutschlands und Costa Ricas. Während in Costa Rica die Familie und Gemeinschaft einen sehr viel größeren Stellenwert hat, steht unserer westlichen Welt die Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit im Zentrum.

Mein erstes Schockerlebnis in Bezug auf Privatsphäre war relativ zu Beginn meines Aufenthaltes in Hojancha. Ich hatte meine dreckige Wäsche noch nicht zur Waschmaschine gebracht, woraufhin meine Gastmutter in mein Zimmer an meine Sachen gegangen ist und meine Wäsche eingesammelt hat. Was ich als extrem übergriffig empfunden habe, war für sie wahrscheinlich ganz normal. Mir wäre es lieber gewesen meine Wäsche einfach selbst zu waschen, aber sie besteht als „richtige Mama“, wie sie sich selbst nennt aus irgendeinem Grund darauf, das Wäschewaschen zu übernehmen.

Ich bin jedenfalls echt froh, dass ich mein eigenes Zimmer habe, auch wenn ich ab und zu ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich mich in dieses zurückziehe.

Allerdings hab ich Glück, dass meine Gastfamilie schon sehr viel Erfahrung mit Ausländern und vor allem Deutschen, die bei ihnen gewohnt haben, gesammelt hat und deshalb relativ verständnisvoll auf mein geringes aber doch vorhandenes Rückzugsbedürfnis reagiert. Niemand kommt zum Beispiel einfach in mein Zimmer herein, wenn die Tür geschlossen ist und ich mich gerade darin aufhalte, ohne zu klopfen.

Ruhe und Rückzug sind hier generell trotzdem ein schwieriges Thema. Leise ist es selten im Haus, außer ich bin alleine. Ansonsten wird Musik in voller Lautstärke aufgedreht oder Namen und Wörter durchs ganze Haus gerufen, egal, ob es erst 7 Uhr morgens an einem Sonntag ist oder ich gerade dabei bin, einen Blogbeitrag zu schreiben. Es ist ja auch eine große Familie und gerade jetzt über die Feiertage sind alle versammelt. Eine gute Sache hat das Ganze natürlich auch, es wird nie langweilig!

BlogNo:02

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