Traum der Furchtlosen

von 22 robert  

Hunderte Migranten kommen täglich in Paso Canoas an, dem Grenztor zwischen Panama und Costa Rica. Angetrieben von dem Traum, in den Vereinigten Staaten einen Arbeitsplatz zu finden und damit der eigenen Familie eine bessere Zukunft zu sichern. Angetrieben auch durch Angst und Verzweiflung, die ihnen die kritischen Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern ins Herz getrieben und schlussendlich zum Aufbruch in eine ungewisse Zukunft veranlasst hat.

Die Vielfalt an Kulturen, repräsentiert durch Migranten aus fast allen Teilen der Erde, verleiht dem Grenzort den Charakter einer internationalen Metropole. Sie kommen in täglichen Schwällen. Mal sind es viele Südost-Asiaten. Chinesen, Kamboschaner und Bangladeshi fliegen nach Südamerika, um von dort aus die einzige Landroute über Mittelamerika zu nehmen. Sie haben häufig viel Geld dabei. Familien aus verschiedensten afrikanischen Ländern nutzen, so erklärt es mir der in der Grenzstadt arbeitende Sozialarbeiter Roy Arias, Flugverbindungen zwischen Lagos, Accra oder Dakar Flughäfen in Brasilien und Guyana und passieren nach langer Reise auch Paso Canoas. Menschen aus Haiti, Indien und Pakistan treffen ein und reisen weiter. Die größte Zahl an eintreffenden Migranten kommt allerdings aus südamerikanischen Staaten: Kolumbien, Ecuador und allen voran, Venezuela.

Fast alle Migranten, die hier eintreffen, haben zwangsläufig den „Darién“ durchquert. Und dieser hinterlässt seine Spuren: viele Migranten sind sehr krank, geschwächt und haben kaputte Füße vom Laufen. Unterernährt und ohne finanzielle Mittel kommen sie hier an und wissen nicht, wie sie weiterkommen sollen: zwischen ihnen und den USA, des verheißungsvollen Ziels liegen noch 2.000 Kilometer und vier/fünf Länder. Alles schwebt und schwankt zwischen Verlust, Bereuen, Hoffnungslosigkeit, und dem Willen, im Land der Träume anzukommen.

Der „Darién“- Hölle auf Erden

„Es ist wie die Hölle“, sagt Joel Gonzalez, während er mit den Tränen kämpft. Mit ihm spreche ich, direkt neben dem Busterminal unter dem großen Schild, auf dem in bunten Großbuchstaben „PASO CANOAS“ geschrieben steht. Er ist heute hier angekommen und einer von vielen Venezolanern, die nach der Durchquerung des Darién in Canoas ankommen.

Die Region des Darién ist ein gebirgiger Streifen tropischen Regenwaldes von ungefähr 50 Kilometern Breite, der die gesamte Grenze zwischen Panama und Kolumbien ausmacht. Es gibt keine Straße, die da durch führt. Sogar die berühmte Panamericana, die Alaska mit Feuerland verbinden könnte, ist hier unterbrochen. Für eine unbekannte Zahl der passierenden Migranten bedeutet dieser tückische Abschnitt nichts Geringeres als den Tod. Kinder werden von den reißenden Strömungen der Flüsse mitgenommen, die durch das Gebiet adern.
Andere verunglücken bei der Überquerung des Gebirgszuges, der bis zu 1.800 Meter hoch aufragt und durch ungesichertes Klettern überwindet werden müssen.

Die Region ist zudem eine der nässesten des Planeten; regelmäßige, heftige Niederschläge verursachen Erdrutsche und bewässern Sumpfgebiete, die Krokodile und Giftschlangen wie die tödliche Fer-de-Lance beheimaten. Doch nicht nur die naturräumlichen Vorraussetzungen machen den Darién derart gefährlich. Paramilitante Gruppen treiben hier ihr Unwesen: die kolumbianische, marxistische Guerilla "Ejercito de Liberación Nacional" oder auch der "Golfo- Clan" kontrollieren das Gebiet und betreiben Drogenwirtschaft. Die kolumbianische Staatsmacht ist im Darién nicht präsent. Wenn die Paramilitãrs Migranten begegnen, passiert es nicht selten, dass die schwerbewaffneten Kämpfer den schutzlosen Migranten alles abnehmen: Geld, Wertsachen und sogar Klamotten müssen sie abdrücken. Manchmal folgt Mord oder Vergewaltigung.

Die große Mehrheit schafft es jedoch lebend hindurch, wenn auch versehrt. Doch zu welchem Preis? Auf den ersten Blick ist dieser zunächst offene Füße in kaputten Schuhen, Lungenentzündungen, Fieber und Schwäche. Vielleicht auch Traumata, die die Flüchtlinge noch ein Leben lang begleiten werden. "Wenn mich jemand fragen würde, ich würde ihr oder ihm raten, es nicht zu tun...man leidet sehr...ich kann nicht beschreiben, was man da drin erlebt.", so Gonzalez. "Ich habe nur die Hoffnung, in Kanada anzukommen und zu arbeiten."
Was veranlasst Menschen wie Joel Gonzalez dazu, seine Heimat zu verlassen und sich auf diesen lebensgefährlichen Weg zu begeben?

Ein armes, reiches Land

Die Geschichte von Joel Gonzalez steht beispielhaft für die Geschichte der Venezuelaner, die sich gezwungen sehen ihr Land zu verlassen. Das Land leidet unter hoher Inflation, Kriminalität und dem sozialistischen Staatssystem, welches von korrupten Politikern zu Nutzen gemacht wird.

Mehr als sieben Millionen Menschen haben im Zuge dieser Entwicklung bereits das Land verlassen, das Heimat von 28 Millionen Menschen war. Eine Inflationsrate von rund 400%, zusammen mit dem Mangel an staatlicher, humanitärer Hilfe führt dazu, dass die Grundbedürfnisse großer Teile der Bevölkerung nicht mehr gesichert sind. Ein Drittel der Bevölkerung hat laut WFP (World Food Program) nicht genug zu essen. Staatliche Hilfe gibt es, diese reiche jedoch nicht ansatzweise aus. So erzählt es mir Gonzalez: „Das venezolanische Volk ist attackiert worden von einem System, das dir nicht erlaubt zu arbeiten. Das dich von ihm abhängig macht. Das dir monatlich eine Tüte Lebensmittel gibt und jedes Mal sind weniger Dinge dahin. Sie geben dir zwei Reis, sie geben dir zwei Mehle der schlechtesten Qualität.“

Verantwortlich gemacht wird zurecht der sozialistische Staat. In dem Unterfangen, große Landbesitzer zu enteignen und das Land an lokale Kleinbauern zu verteilen, um den lokalen Markt zu stärken und die Abhängigkeit von Importgütern zu verringern, wurde von staatlicher Seite versäumt, den neuen, kleinbäuerlichen Betrieben Bewässerungsmöglichkeiten und Kredite bereitzustellen, geschweige denn technische Hilfe. So entstand nationale Nahrungsknappheit, die das Land abhängiger von Importgütern aus dem Ausland machte, als es zuvor gewesen war.

Eigentlich hat Venezuela relativ gute Voraussetzungen, ein sehr reiches Land zu sein. Mit 300 Milliarden Barrel verfügt das Land über die größten, natürlichen Ölvorkommen der Welt – mehr als Saudi Arabien und mehr als der Iran und der Irak zusammengenommen. Doch dadurch, dass schnell die gesamte Nahrungsversorgung und die Wohlstandsentwicklung des Landes unmittelbar vom Öl abhängig gemacht wurde, wurde ein politischer Fehler begangen. Anfang der 2000er Jahre machte das Öl 98% des Exports und die Hälfte der venzuelanischen Wirtschaftsleistung aus. Als dann 2014 die Ölpreise global absackten, begann das Chaos. Es handelt sich aber nicht nur um Öl, so berichtet Gonzalez: „Mein Land ist eines der reichsten des Kontinentes[...], wir haben Diamanten, wir haben Gold, wir haben Öl, wir haben Nickel, wir haben so viel […], doch unsere Regierung hat uns zu einem armen Land gemacht.“ Die ökonomische Situation des Einzelnen und der venezolanische Bolivar sind so ruiniert, das viele Tauschhandel betreiben.

So verlassen viele notgedrungen das Land, im letzten Jahr waren es 212.000 Menschen. Die Existenz in ihrer Heimat geben sie damit gänzlich auf. „Ich musste mein Auto, mein Motorrad und mein Haus verkaufen, um 1.500 Dollar zusammen zu kriegen.“ Damit finanzierte er den Reisepass seiner Frau und seinen eigenen. Mit dem Rest seien sie losgezogen, seine Frau und seine Töchter. Nach der Durchquerung des Darién, indem er auch all seine Klamotten ließ - „Wenn sie nass wird, wiegt die Wäsche zu viel..du musst sie ausziehen. Diese Hose hat mir ein Indigener geschenkt“ (Gonzalez zeigt auf seine Jeanshose) - , und der Weiterreise durch Panama, bei der die Familie teilweise von Behörden getrennt wurde, bleiben ihm und seiner Familie kein Geld mehr für die Weiterreise. „Deshalb verkaufen wir Wasser und Softdrinks, um weiterzureisen. Denn in jedem Land, in dem wir ankommen, gibt es das korrupte Militär, welches uns alles abnimmt, was wir mitgebracht haben.“ Sobald Gonzalez genug Geld zusammengespart hat, reisen er und seine Familie mit dem Bus bis zur nächsten Grenze; Los Chiles, Nicaragua. Dort, so plant er, wird er dann das Selbe tun, um erneut ein Land vorzurücken.

Der Weg ist lang und die Hindernisse kosten Leben. Doch die Verzweiflung ist ausreichend, um zur Flucht zu veranlassen. Und das auch trotz dem Risiko, am Ende aller Anstrengungen von den US- Behörden bei Ankunft abgewiesen zu werden und zurückkehren zu müssen. Der Darién ist leider auch nicht die einzige, gefährliche Hürde, die die Migranten erwartet: in der Sonora- Wüste, zwischen Mexiko und den USA, sterben jährlich eine unbekannte Zahl von Flüchtlingen, die versuchen, illegal in die Vereinigten Staaten zu migrieren. Gefahr droht durch Verdurstung und Ermordung durch illegale Schlepper. Da die Flüchtlinge unentdeckt einreisen wollen, wählen sie derart abgelegene Routen, dass ihnen keiner helfen kann.

Häufig sind den aufbrechenden Migranten die Schwere der Hindernisse, die auf dem Weg in ein potentiell besseres Leben auf sie warten, gar nicht bewusst. Dass sich aber auch ein Teil der Menschen aufmacht, die sich den Gefahren der Reise bewusst sind, zeigt, wie groß die Verzweiflung in den Köpfen und wie dringend Handlungsbedarf vor Ort sind.

BlogNo:07

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