Und dann leckte der Zombie Hund das frische Blut von der Kakaoschote

von 22 dani  

Es ging wieder nach Las Vegas. Also das kleine, zweihundert Einwohner Dorf der Ngäbe indigenen ganz im Süden von Costa Rica. Die Familie von dem Mitfreiwilligen, Robert brauchte dringend Hilfe, um noch vor der Regensaison fünfhundert Abacá-Pflanzen zu pflanzen. Davor musste der sehr steile Hang noch präpariert und die Pflanzen an jenen getragen werden. Das war alles sehr aufwendig und anstrengend. Eines Mittags aber - es war ein Dienstag um elf Uhr - machten wir uns gerade auf den Weg, um nach dem Essen weiterzuarbeiten, als die ganze Familie zum Nachbar Grundstück blickte.

Da dieses eh auf unserem weg lag gingen wir schnell hin. Dort sahen wir ein halbes duzend Kinder und einige Erwachsene auf eine Kuh starren. Diese war gerade offensichtlich genervt und stand in einem Fluss. Es hieß, dass jene nun geschlachtet werden soll. Sie sei aber nur aus Versehen in Fluss gerannt. Ein Mann machte kenntlich, dass man nun Abstand halten solle. Er saß auf einem Pferd und hielt den fast einem Drahtseil ähnelnden Strick in der Hand, der um den Hals jener Kuh gebunden war. Die Kinder begannen das Vieh mit Ästen und Steinchen zu bewerfen, die Eltern schrien und piksten es mit langen Stöcken. Es wurde wütend, sprang auf und begann so wild zu rennen, dass wir drei (Robert, Liam und ich. Die zwei Mädchen blieben noch weg) ängstlich wegrannten. Als es zur Ruhe kam wurde es gut fixiert. Ganz entspannt konnte uns nun die kommende Schlachtung erklärt werden. Ich werde jene bald so gut es meine Worte mir erlauben so grafisch wie möglich erklären. Dem Tier, dass sich bei genauerem Hinsehen übrigens als weiblich entpuppte sollte zunächst der Strick um den Hals so eng wie möglich gezogen werden. Dann wird mit einer sehr dünnen Machete ins Herz gestochen. Man sagte uns, dass direkt literweise Blut aus der Brust schießen werden. So soll es dann sterben. Nach ein paar Minuten und nach der Ankunft eines Mannes mit jener dünnen Machete winkte uns unser Nachbar, dem Die Kuh auch gehört zu jener. Er wird Porfi genannt. Offenbar sollen wir nun mithelfen. So wie einige Kinder, begannen auch einige Hunde von Grundstücken in naher Umgebung sich um das Vieh herum zu positionieren. Aus gänzlich verschiedenen Motiven versteht sich. Unter anderem auch Hund Canela - spanisch für ‚Zimt‘ übrigens -, die war schon sehr schlimm anzusehen, als ich vor acht Monaten im Dorf war. Damals begann ihr linkes Auge sich zu entzünden und eiterte. Nun scheint es geschrumpelt zu sein und tiefer im Kopf versenkt. Ihr Fell ist noch fleckiger und verklebter und ihre Haut ummantelt inzwischen jede einzelne Rippe so eng, dass man zu denken glaubt, es sei nichts an ihr dran. Ein Hund wie aus einem Horrorfilm. Porfi erzählte uns noch, dass die Kuh erst eineinhalb Jahre alt ist. Außerdem - so Porfi - könnte er das Fleisch für mehrere hundert Dollar verkaufen. Das macht er aber nicht, da er lieber selbst, mit der Familie und Freunden das Fleisch verspeist. Zurück zur Schlachtung. Als mir der Erwürgen-Erstechen-Plan erklärt wurde hatte ich als nicht-Vegetarier folgende Gedanken: „es ist nur fair, wenn ich das mitanschaue und mithelfe. Ich bin sogar in einer gewissen Pflicht dies zu tun. Wer bin ich denn mir das Recht rauszunehmen, Fleisch zu essen aber bei der Tötung der Tiere nicht mithelfen zu wollen geschweige denn nur zuzusehen? Dennoch kann ich mir das Atmen, das nach Luft schnappen, das Blut spritzen, das Hautabziehen doch wohl nur schwer ansehen?“. Ich war mir aber sicher, ich muss jetzt dabei sein! Das bin ich meinem Fleischesser-Gewissen schuldig. Egoistischer Gedanke, oder? Also fing es an. Fast alle halfen mit. Die Kuh wurde nah an einen Kakaobaum gestellt und der Strick einmal um jenen gewickelt. Das andere Ende wurde um einen anderen Baum, der vielleicht fünf Meter weiter weg stand gewickelt. So konnte man durch Ziehen den Strick verengen und dann am zweiten Baum den Verengungsfortschritt fixieren. Das taten wir dann, zu siebt zogen alle herumstehenden Männer - inklusive uns drei - zwischen den beiden Bäumen stehend an dem Strick. Die anderen machten den Knoten am Fixierbaum immer enger. Wir zogen, was das Zeug hielt. Sofort begann die Kuh lautstark zu atmen, zu röcheln, zu strampeln. Sie begann zu Pissen und Kacken. Sie rieb das Seil so stark am Baum, dass zentimeter-tiefe Einkerbungen am Stamm entstanden. Nach einer kurzen Zeit von Ächzen und hörbar schwerem, engem Atmen wurde die Machete angesetzt. Zack! Ein Stich. Sofort fließt literweise Blut. Es fließt mit so einer Kraft, dass es mehrere Dezimeter aus der Kehle spritzt. Bei jedem Herzschlag spritzen die Blutmassen. Das Röcheln und nach Luft schnappen hört aber nicht auf. Im Gegenteil. Es wird unregelmäßiger und jedes Mal intensiver. Das Blut benässt währenddessen den gesamten Kakaobaum. Eine Herunterfallende Kakaoschote landet in einer Pfütze aus Blut und Schlamm und wird direkt mit frischem Blut bedeckt. Zwei Hunde, darunter Canela kommen angerannt und lecken das Blut auf. Dieser Moment, das sterbenden Vieh, der Zombiehund, das Röcheln, das Blutspritzen, die Zunge der Kuh beginnt sich aus dem Mund zu strecken und kräuselt sich wild und verrenkend in alle Richtungen, Schaum entsteht am Mund, Muskeln Zucken, Die Kuh fällt, steht auf, fällt, liegt, zuckt, ringt nach Atem, Ächzt. Die Hunde stehen keinen Meter von all dem entfernt und lecken hungrig das Blut-Schlamm-Gemisch. Dieser Moment, dieses Bild, es war einer dieser Momente in dem man kurz eine klarere, deutlichere Realität wahrnimmt als sonst. Wie ein Aufwachen. Die Kakaoschote erinnerte mich nochmals daran, dass ich ja gerade in Mittelamerika bin. Canelas aussehen allein ist schon grausam. Und dann all das Blut, krächzen und zittern der Kuh. Das wurde mir kurz zu viel. Ich musste nachgeben. Für drei Sekunden musste ich wegschauen. Ohren zuhalten und wegschauen. Die Kinder lachen mich aus, beginnen die Hunde zu verscheuchen und die sterbende Kuh mit Stöcken zu ärgern. Gelber Schleim fließt aus der Nase derselben. Sie liegt jetzt nur noch am Kopf am Baum hängend und zuckt. Als ich dachte sie sei tot zuckte plötzlich nochmal alles oder ein weiterer ächzender Versuch eines Atemzuges war zu vernehmen. Dieses elende keuchen. Das war schlimmer zu hören als es war das Blutspritzen zu sehen. Ab dem enger ziehen des Strickes und der damit einhergehenden Erstickung bis zum tot waren ungefähr fünf Minuten vergangen. Das Zucken ging aber noch etwas über den Tod hinaus. Mit Zucken meine ich keineswegs nur kurze, kleine Bewegungen einzelner Muskel. Es war eine plötzliche, strampelnde Bewegung der Beine.

Als man von keinem weiteren Zucken ausgehen konnte wurden große Bananenblätter um das tote Vieh herum ausgebreitet. Nun war alles gut. Wirklich, ich war völlig OK mit dem geschehenen. Sofort begannen die Männer die Haut der Kuh auf ‚Schienbein‘ -Höhe aufzuschneiden. Dies Tat man an allen vier Pfoten. Wir halfen mit, indem wir die Beine hielten während der Männer ringsum die Haut aufschlitzten. Da war kein bisschen Blut. Nur weises Fett oder so (ich denke es war Fett, aber habe ja wirklich keine Ahnung von sowas). Allmählich wurde die gesamte Haut vom Körper getrennt. Das war überhaupt nicht schlimm anzusehen. Nun kamen auch die zwei Mädels dazu und – obwohl sie beide vegan sind – waren sie, so wie wir, vom Hautabziehen nicht besonders angeekelt. Zwischendurch halfen wir beim hin und her rollen der Kuh oder beim Hochhalten der Beine. Als die Kuh komplett nackt war und nur noch am Kopf und – wie Stiefel aussehende – Haut um die Unterbeine hatte wurden die Beine abgeschnitten. Wir trugen die Beine – und sie waren sehr schwer – auf andere Bananenblätter, weiter weg. Dort wurden Kinder mit Stöcken bewaffnet und hatten den Auftrag, die gierigen Hunde fernzuhalten. Als man den Kopf entfernen wollte wurde erst alles, was mit Messern möglich war um das Genick herum zerschnitten. Dann kam die Axt ins Spiel. Mehrmals wurde auf den dicken Halsknochen geschlagen, als würde man Holz zerhacken. Als der Akt vollbracht war Schnitt Porfi kurzerhand schlitze in die Ohren und lies zwei Kinder diese als Henkel verwenden, um den Kopf einfacher abzutransportieren. Ach ja, die Kinder. Während ich mich fragte, wie die Leute im Dorf das Schlachten lernen, blickte ich auf die Kinder, die gerade ringsherum standen und den Männern zusahen. Wie die Kinder das tote Tier mal anfassen, mal mithelfen, es piksten oder an Augen, Zunge, Mund und Nase herumspeilten. Wenn man auf dem Weg zur Schule kurz eine Schlachtung miterlebt oder alle paar Monate der Onkel, Vater oder Opa eine Kuh, ein Schwein oder die Hühner schlachtet, dann wird das völlig automatisch an die kommenden Generationen weitergegeben. Gegessen wird übrigens nahezu alles. Die haut und der Großteil des Kopfes natürlich nicht aber sonst so gut wie alles, was geht. Sogar die Füße werden in Suppen gekocht und den Darm könnte man – nach gründlichstem waschen - auch essen. Apropos essen. Bevor die gesamte Kuh zerlegt war, gingen wir. Es gab ja noch Arbeit zu erledigen. Schon beim Gehen kündigte Porfi an, uns am Nachmittag, nach der Rückkehr vom Feld etwas von der Kuh zum Verköstigen zu geben. Jenes Versprechen wurde gehalten. Und wie ich dann so am Esstisch saß: Vor mir eine Schüssel mit Reis, sowohl gekochtes als auch frittiertes Kuhfleisch als Beilage, da war mir alles egal geworden. Das Ächzen, das Würgen, das Leiden der Kuh. Und die Frage von vorhin: „Wer bin ich denn mir das Recht rauszunehmen, Fleisch zu essen aber bei der Tötung der Tiere nicht mithelfen zu wollen geschweige denn nur zuzusehen? Dennoch kann ich mir das Atmen, das nach Luft schnappen, das Blut spritzen, das Hautabziehen doch wohl nur schwer ansehen?“ hatte sich geklärt. Der Mensch – zumindest ich – ist naiv genug sich das Leid anzusehen und keine vier Stunden später das Fleisch zu genießen.

BlogNo:02

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