Alte Menschen, junge Gemüter

von fabian_11  

Whoo! Wie wirbeln im wilden Tanz umeinander, Füße trippeln in komplexen Mustern über den Beton. Meine Tanzpartnerin ist sehr erpicht darauf, mir meine Ungelenkigkeit auszutreiben, fordert mir Rhythmen, Figuren, Pirouetten ab. Wenn mir etwas gelingt, lachen tausend Fältchen in ihrem Gesicht auf und ihre Augen strahlen mich an. Barfüßig bilden wir den Mittelpunkt einer Traube Menschen, die zu modernem Reggea-Ton ihr Alter zelebrieren, meine Partnerin ist wohl die versierteste, ich komme kaum nach, dabei ist sie wohl mehr als viermal so alt wie ich. Wo bin ich hier hineingeraten?

Meine Gastmutter Erlinda scheint in sämtlichen Aspekten, die irgendwie in die Bereiche Sozialwesen oder Naturschutz fallen, involviert. So gelange ich hin und wieder in kuriose Umstände, wie beispielsweise an diesem Tage. Eine Festivität sollte zu Ehren der gereifteren Bevölkerungsschichten des Kantons stattfinden, die Universität La Earth bot sich als Austragungsort an, wir waren Initiatoren.

Wir wurden von der Frau eines dort unterrichtenden Professors abgeholt und luden alsbald das Auto mit allerlei Töpfen, Schalen und Pfannen voll, die ihrerseits wiederum mit Speisen, Köstlichkeiten und Unmengen an Reis beladen waren. Insgesamt schien das Auto vor Geruchsquellen zu bersten, als wir zur Universität aufbrachen, ich war irgendwo zwischen paniertem Fisch, Gemüse und Sojasoße eingekeilt. Schließlich angekommen, luden wir aus und erstaunten über die Mühe, die sich hier mit dem Dekor gemacht wurde. Sechs Tische mit jeweils zehn Sitzplätzen standen bereit, über beides strahlend weiße Laken gebreitet, die mit gelben Bändern umbunden und geschmückt waren. Blaue Bouquets vollendeten das Bild indignierter Reserviertheit. Zunächst blieb aber noch etwas Zeit, so speisten Erlinda und ich in der Kantine ausführlich, bald nach unserer Rückkehr setzte ein Platzregen ein, sodass wir die wenig später ankommenden Gäste unter Regenschirmen vom Bus zum überdachten Pavillon eskortierten.

Nachdem sich alle eingefunden hatten, wurde wie immer gegessen. Scheinbar alle der Damen wollten beim Servieren helfen, was meine Position als Kellner etwas untergrub, ich wurde hingegen von den Greisinnen zu einem Tisch eskortiert, ich solle mich ausruhen. Mit ebensolchem Großmuttercharme wurde ich den ganzen Abend bezirzt, zudem wollten etwa zwei Dutzend Frauen mich mit Essen versorgen und gaben nicht eher Ruhe, bis ich meinen Widerstand aufgab und den Berg, den sie mir in ihrer Fürsorge aufgeladen hatten, verzehrte. Beim Kuchen wenig später wehrte ich mich kaum mehr, obgleich er augenscheinlich nicht von kundiger Großmutterhand gefertigt war, als mir Süßigkeiten zugesteckt wurden, ging ich schon völlig in meiner Rolle als Enkelsubstitut auf. Aber der Reihe nach.

Nach einer Verdauungspause und danach neu befeuert durch Kaffe und Kuchen sammelte man sich zum Tanz. Zunächst eher verhalten, erfreuten sich bald schon einige Seniorinnen daran, ihre Hüften kreisen zu lassen, es wurde ein Zirkel gebildet, in dem jeweils eine vortrat und zeigte, was sie konnte. Ich hatte immer Angst, dass sie nie wieder hochkommen würden, als sie sich beim ‚getting low’ unterboten. Später erfuhr ich, dass eine der Mittänzerinnen kurz vor ihrem 92. Geburtstag stand. In dem Momente bahnte sich mir ein Herzinfarkt an, als ich mich erinnerte, wie fahrlässig sie sich verausgabt hatte. Die Männer jedenfalls blieben signifikant in der Unterzahl und murrten an den Tischen, dass niemand daran gedacht hätte, Spielkarten mitzubringen. Doch die spitzfindigen Frauen suchten sich einfach Ersatz im Techniker und mir. Nach zahllosen Weigerungen blamierte auch ich mich. Ich war beim Tanzen wohl noch nie so aufgeregt und verschämt, mein Kopf war anfangs hochrot, ich rief Erlinda um Hilfe an, die korpulente Frau sprang auf, schrie: ‚Ay! Mi bebé!’- und schloss sich dann dem Tanz an. Nach einer Weile entspannte ich mich etwas und erhielt von oben benannter Dame einige Lektionen in lateinamerikanischem Tanz.

Später wurde noch eine Pinata aufgehangen, die Älteste, die Dame von fast 92, hatte das Vorrecht, zuerst zuschlagen zu dürfen und riss gleich die ganze Pinata beim ersten Zuschlagen ab. Teils warfen sich die Rentner nun den Süßigkeiten entgegen, jedenfalls krochen alle geschwind über den Boden und sammelten die Schätze auf. Auch wenn ich ihnen im direkten Wettbewerb um den Süßkram unterlegen war, ging ich dank meiner Enkelfunktion natürlich nicht leer aus.

Insgesamt war es ein fulminant verlebter Nachmittag, er enthielt wirklich alles, Speise, Tanz- und sogar Romantik. Selbstverständlich war ich involviert. Eine der Damen, wohl unter den Jüngeren, aber bereits mit schlohweißem Haar, hatte ein besonderes Faible für mich. Sie kam mir dauernd nah, pries meine Jugend und Schönheit und fasste mich dabei an. Sie lud mich auch zu sich ein und versicherte mir, mich jederzeit zu bekochen, doch spätestens, als der einzige mögliche Vorteil einer solchen Verbindung, nicht mit einer Schwiegermutter belastet werden zu müssen, zunichte wurde; sie war nämlich zufälligerweise die Tochter der 92-jährigen, war die Angelegenheit für mich besiegelt und ich sann darauf, mich ihrer Anwesenheit und der ihrer mir bereits umfassend vorgestellten Familie zu entziehen. Diese forsche Frau hatte wahrscheinlich noch mehr Feuer als ihre Mutter, das wäre definitiv zu viel für mich. Dennoch gelang es ihr, sich bei der Rückfahrt im angemieteten Bus neben mich zu setzen, aber bereits nach einer Viertelstunde angeregten Gesprächs ihrerseits stiegen Erlinda und ich aus und wünschten allen eine gute Nacht.

(Selbstironie im Text inbegriffen, bevor Fragen aufkeimen)

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