Monto de Toros a la fiesta de la cultura en Santa Cruz

von marcus_11  

Die Massen sind begeistert, jubeln und schreien: das Stadion brodelt, die Arena ist ausverkauft. Und während sich unten Dramatisches ereignet, vergnügt sich die Menge auf den Rängen mit Bier und Fleischspießen. Dazu gibt es animierende Musik und einen total überdrehten Stadionsprecher, der die fanatischen Zuschauer weiter aufheizt – sowohl oben auf den Rängen, als auch unten im Feld, wo das Spektakel stattfindet.

Möglicherweise kommt uns das alles sehr bekannt vor und manch einer mag Assoziationen mit Fußball oder anderen Sportgroßereignissen haben. Doch in diesem Fall handelt es sich um ein großes Volksfest mit einer Hauptattraktion, die als sportlicher Wettkampf verkauft wird, aber für mich zumindest (auch) einen bitteren Beigeschmack hat.

Das sogenannte „Stierreiten“ (Monto de Toros) ist ein großes Spektakel, das in Costa Rica außerordentlich beliebt ist und auf eine lange Traditionen zurückblicken kann. Uns bekannt als Stierkampf in Spanien, hat es eben da auch seine Wurzeln. Doch im Gegensatz zu den spanischen Wettkämpfen werden die Stiere hier nicht gequält oder gar getötet. Das betonen die „Ticos“ gerne. Und so macht mich auch Wilmar darauf aufmerksam, dass die Tiere offenbar weniger gequält werden, als die Menschen, die sich das jedoch freiwillig antun – bleibt nur die Frage: Warum?

Doch dazu später. Zunächst zum Prozedere. Das Stier-Spektakel findet normalerweise im Rahmen von großen Volksfesten statt. Diese „fiestas civicas“ gibt es überall im Land, selbst in relativ kleinen Dörfern. Neben diesen kleineren Dorffesten gibt es jedoch auch Feste von überregionaler Bedeutung, zu denen Ticos aus dem ganzen Land kommen; die drei Wichtigsten in: 1. San José (siehe: toros a la tica), 2. Palmares und 3. Santa Cruz.


Tanzen ist an solchen Tagen
eher Begleitprogramm

Letztere sind für einen echten „Guanacasteco“ aus Lokalpatriotismus natürlich die Bedeutendsten. Und so sind wir selbstverständlich auch nach Santa Cruz gefahren, das nur etwa eine halbe Stunde von Nicoya entfernt ist. Bereits nachmittags gibt es auf/bei den Festen verschiedene kulturelle Angebote – von religiösen Prozessionen, traditioneller Musik und Tanz, bis hin zum kollektiven „Vorglühen“ mit Freibier für Alle!

Das nennt man Topping; nichts anderes als eine Zusammenkunft von feier- und trinkfreudigen Leuten; Geselligkeit; Sehen und Gesehen werden. So was kennt man auch zur Genüge. Dann jedoch verlassen alle gleichsam rituell den Platz, um sich an anderer Stelle – meist im Dorfzentrum – erneut zu versammeln. Dort erwartet man die zurückgebliebenen Reiter, die flankiert vom Volk erhobenen Rosses die Stiere zur Arena treiben oder einfach nur stolz posieren. Während die Tiere auf das abendliche Spektakel vorbereitet werden, vergnügen sich die Leute bei Musik und Tanz.


Stiere auf dem Weg zur Arena

Abends dann wartet die Attraktion des Festes, wofür man noch 5000 Col. (10 Dollar) zahlen muss. Der bewachte Parkplatz kostet genauso viel; das „Topping“ sogar ganze 10000 Col. Dennoch kommen die Leute in Scharen und haben oft schon wochen- oder monatelang dafür gespart. Sie drängen sich auf den Tribünen, die mich an die ersten römischen Amphitheater erinnern, die auch nur provisorisch zu jedem Wettkampf neu auf- und dann wieder abgebaut wurden. Hier sind alle gleich; man sitzt auf einfachen Holzbrettern; es gibt keine privilegierten Plätze. Man unterhält sich, wird vom „Stadionsprecher“ und Bier in Stimmung gebracht; manchmal gibt es auch Feuerwerk.


Bananenverkäufer macht das Geschäft
des Jahres

Die Ränge sind voll besetzt, doch auch unten auf dem Kampfplatz tummeln sich viele Menschen, mehrheitlich halbstarke Burschen und junge Männer mit stolz geschwellter Brust. Die Spannung steigt, in Erwartung auf den ersten Stier. Dieser wird hinter einer hölzernen Pforte zurückgehalten. Sobald sich die Pforte öffnet, stürmt der Stier ungebändigt wild heraus auf den Platz, springt und tobt wie verrückt umher. Auf ihm sitzt der wagemutige „Montador“ – doch wie lange? Das ist die alles entscheidende Frage um die Kunst dieser Reiter. Dabei kommt es nicht nur auf dessen Fähigkeiten an, sondern natürlich auch auf die des Stieres. Diese kräftigen Tiere bringen zwischen 700-1000 Kilo auf die Waage und sind nicht ungefährlich. Genau das macht ja auch den „Reiz“ der Sache aus. Und so sind die gefährlichsten Stiere denn auch die berühmtesten, gleich nach dem Motto: je berühmter (gefährlicher/wilder) die Stiere, desto beliebter, desto mehr zahlen die Leute für das Spektakel.


Wegrennen oder doch hingehen?
Für die Jungs eine klare Sache: hingehen.

Ein besonders berühmter Stier habe schon drei Menschen getötet und einer davon stammte aus ihrem Dorf, wie mir Barbara, die Schwiegertochter von Wilmar, erzählt – offensichtlich um mich zu beeindrucken. Auf mich wirkt das eher abschreckend-befremdlich, genauso wie das, was sich da unten gerade abspielt: Nachdem der Stier ein Weile wild rumgesprungen ist und den tapferen Reiter schließlich abgeworfen hat, rennt er oft ganz verwirrt umher und wird von den enthusiastischen Leuten weiter angeheizt und provoziert – mit Schreien und roten Tüchern, indem sie auf den Stier zurennen und ihn täuschen, ihn an den Hörnern packen oder sonst wie berühren. Dann rennt der Stier plötzlich wieder wild los und auf die „Machos“ zu, die panisch auseinanderlaufen. Einer wurde getroffen und ist auf dem Weg zur Ersten Hilfe (Das Rote Kreuz hat unten in der Arena eine Erstversorgung, direkt neben dem Kampfplatz), doch er wird erneut vom Stier aufgespießt. Die Menge schreit begeistert, applaudiert! Die Menschen unten dagegen drängen sich an den Holzplanken und ziehen sich daran hoch, um sich vor dem heranstürzenden Stier in Sicherheit zu bringen, jedoch immer in Reichweite und so machen sie den Stier weiter wild, provozieren, trampeln ihm buchstäblich auf dem Rücken herum.

Alle sind begeistert und fragen mich, ob es mir nicht gefällt?! Warum nicht? Warum ich nicht lache?

Also ich versteh nicht, was daran lustig sein soll. Faszinierend vielleicht noch, ja und interessant – aber lustig? Das Lachen ist mir im Halse stecken geblieben. Ich bleibe erstaunt, entsetzt. Das ist einfach nur perverse Schadenfreude und Gewaltgeilheit – ob nun auf den Stier bezogen oder auf die Menschen, die sich von dem aufspießen und ertrampeln lassen. Perversion und Gewalt – ja, aber die Frage ist berechtigt, ob eher die Tiere oder doch die Menschen schlecht behandelt werden? Warum kann ich das nicht verstehen, nicht genießen?!

Zivilisation? Nein! Da gibt es auch andere Perversionen. Eurozentrismus? Vielleicht. Doch man muss ja nur nach Spanien schauen. Kulturschock? Auf jeden Fall! Definitivamente!


Die Einheimischen haben jedenfalls
ihre Freude an der Veranstaltung.

Etwas verwirrt versuche ich diese neue Erfahrung in meine Gedankenwelten einzuordnen. Das wirkt alles sehr archaisch und zuerst fällt mir nur die Kriegsbegeisterung von (jungen) Männern ein. Dann aber auch typische „Männersportarten“ wie z.B. Boxen und vor allem Wrestling! Da geht es auch den Adrenalin-Kick um die Faszination Gewalt. Und vielleicht ist es gar nicht so weit weg von anderen modernen Vergnügungen, wie Paintball – mit dem Unterschied, dass da keine Tiere mit im Spiel sind!

Diese Volksfeste gibt es in ganz Costa Rica, doch Guanacaste hat die größte Tradition, was das Stierreiten betrifft und im Gegensatz dazu werden die Stiere in San José z.B. nicht geritten, sondern einfach nur in die Arena auf die Leute los gelassen und umhergetrieben und damit fehlt der besondere „Reiz“ oder wenn die Stiere doch geritten werden, dann sind es „Guanacastecos“, die extra nach San José gekommen sind.

Letzten Endes finde ich die für mich passendste Assoziation in den Gladiatorenkämpfen und Tierhetzen im Alten Rom, die auch beim ganzen Volk eine sehr beliebte Attraktion darstellten und bis heute unter dem Sprichwort „Brot und Spiele“ traurige Berühmtheit erlangt haben.

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