Costa RICA = Entwicklungsland?

von maurice_12  

Wer an Entwicklungsländer denkt, denkt meist an Armut, Hungersnöte, politisch instabile Regime, Bürgerkriege, mangelhafte medizinische Versorgung und fehlende Schulbildung der Bevölkerung. Costa Rica verbinden die meisten, sofern ihnen das Land überhaupt bekannt ist, mit malerischen Stränden und einem unglaublichen vielfältigen Ökosystem. Vollkommen zu Recht.

Wer als Freiwilliger nach Costa Rica reist um dort Entwicklungshilfe zu leisten und einer bitterarmen Bevölkerung zu helfen, der wird eine solche dort gar nicht vorfinden. Zwar ist Armut in Costa Rica partiell vorhanden, jedoch kann man bei der imposanten Anzahl an Autos, SmartPhones und Modeboutiquen kaum dran glauben, dass man sich in einem Entwicklungsland befindet.

Costa Rica gilt als das Vorzeigeland Mittelamerikas und ist seit mehr als 50 Jahren geprägt durch die Abwesenheit von politischen Unruhen und Kriegen. Von den anderen mittelamerikanischen Staaten unterscheidet sich Costa Rica nicht nur in diesem Punkt, auf Länder wie Nicaragua und Honduras scheint der Begriff „Entwicklungsland“ allgemein viel zutreffender anwendbar zu sein.

Sicherlich gibt es in Costa Rica auch einige Obdachlose und ärmere Landstriche, jedoch ist das kleine Land für lateinamerikanische Verhältnisse relativ wohlhabend. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, welches in etwa den Wohlstand eines Staates abbildet ist in Costa Rica mehr als 6 mal so hoch wie im Nachbarland Nicaragua. Costa Rica befindet sich von dieser Betrachtung her in etwa auf Augenhöhe mit der Türkei und ist zumindest theoretisch wohlhabender als viele osteuropäische Staaten.

Der Bildungsstand der Ticos ist wesentlich höher als beispielsweise in Honduras, wo jeder fünfte als Analphabet gilt. Im Gegensatz zu den meisten umliegenden Staaten ist in Costa Rica die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet, Kriminalität und Morde sind verglichen mit Honduras und Guatemala eine Seltenheit. Der Tourismus boomt und die Großmächte USA und China versuchen mit Geschenken, wie Polizeiautos und Infrastrukturprojekten, das wirtschaftlich offenbar interessante Land auf ihre jeweilige Seite zu ziehen.

Costa Rica ist ein sympathisches kleines Land, mit einer unglaublichen artenreichen Natur und freundlichen Menschen. Ob es aber ein Entwicklungsland ist bzw. bleibt und sich somit wirklich langfristig für "weltwärts"-Einsatzstellen eignet, erscheint zumindest fraglich ...

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3 Kommentare

Kommentar von: Malina [Besucher]

Ich gebe dir im Grunde genommen Recht, es gibt viele Länder, denen es wesentlich schlechter geht.
Dennoch sehe ich in Costa Rica schon nach einem Monat Anwesenheit deutlichen Entwicklungsbedarf:
Ich nämlich habe schon mehrere Menschen getroffen, die kaum lesen oder schreiben können. An sich bin ich nicht der Meinung, dass das an und für sich unbedingt notwendige Fähigkeiten sind, in einer “modernen” Gesellschaft, wie Costa Rica sie ist, schließt funktionalerer Analphabetismus die Menschen jedoch vom Zugang zu vielen Handlungsmöglichkeiten aus. Meist wird er nicht mal statistisch erfasst. Wer die Grundschule besucht hat gilt als “literate", und somit ist mit flächendeckenden Grundschulbesuchen ein internationales Entwicklungsziel erreicht.
Dass viele Menschn, die Grundschule aber verlassen, ohne dort lesen oder schreiben gelernt zu haben, wird offiziell nicht wahrgenommen.
Ich sehe die mangelhafte medizinische Versorgung am zahnlosen Lächeln der Alten und den Entwicklungsbedarf des Landes am Zustand der Anhäufungen von Schlaglöchern, die Straße genannt werden.
Dass man keine Obdachlosen auf den Straßen sieht, hat in vielen Ländern nichts damit zu tun, dass es keine gibt, sondern dass eine korrupte Regierung sie durch die Polizei brutal vetreiben lässt oder in Gefängnisse sperrt, damit der Tourismus weiterhin boomt und sich die reichen Oberschichten, die die Einnahmen aus diesem Geschäft in Ihre eigenen Taschen stecken, nicht belästigt fühlen. Ob dies in Costa Rica der Fall ist weiß ich nicht.
Aber das man keine Armut sieht, liegt oft nicht daran, dass es keine gibt. Es kann sein, dass die Armut gar nicht erst dahin gelangt, wo du als Ausländer hinkommst oder daran, dass sie sich in anderen Zeichen äußert, als in denen, die du erwartest. Ohne schon genug zu wissen, um wirklich etwas zu wissen, vermute ich, dass Obdachlosigkeit in einem Land, in dem man auch im Winter nicht erfriert, wenn man auf der Straße lebt, in dem eine Unterkunft wegen der zu Deutschland verschiedenen Klimabedinungen auch günstiger und einfacher zu unterhalten ist, ein geringeres Problem ist als zum Beispiel Mangelernährung. Und Mangelernährung sehen “wir Europäer” gar nicht mehr, weil wir es nicht mehr gewohnt sind, auf ihre Kennzeichen zu achten, seit es bei uns alles im Überfluss gibt.
Ich finde deine Beobachtungen nicht grundsätzlich falsch, aber deine Schlüsse etwas voreilig.

Kommentar von: friedel [Besucher]

hallo maurice,

deine schlussfolgerungen sind wesentlich zu kurz gegriffen.

- wenn sich der status eines entwicklungslandes nach der anzahl der schicken boutiquen und smartphones in der jeweiligen hauptstadt definiert, dann gibt es überhaupt keine entwicklungsländer. auch in ländern wie myanmar, laos, angola sind die wesentlichen merkmale der haupt- und großstädte auf den ersten blick schmuck, autos, villen und botox.
- wenn deine definition so ausfällt, wie du es im ersten satz deines textes formulierst: “Armut, Hungersnöte, politisch instabile Regime, Bürgerkriege, mangelhafte medizinische Versorgung und fehlende Schulbildung der Bevölkerung", dann fallen jedoch auch länder wie italien, großbritannien oder die usa darunter, weil italien in den letzten 50 jahren politisch nicht sehr stabil war, in großbritannien die gesundheitsversorgung immer wieder kurz vor dem zusammenbruch steht/stand und die usa ein massives armuts- und gesundheitsversorgungsproblem hat.
- dass das BIP kein sinnvoller maßstab für wohlstandsmessung ist, hat inzwischen selbst die UNO erkannt und bezieht zusätzliche faktoren mit ein. daher ist der vergleich costa rica/türkei nicht sehr hilfreich.
- das konzept “entwicklungshilfe” ist lange überholt und wenn du denkst, dass sich entwicklung darauf beschränkt, “bitterarmer” Bevölkerung zu helfen, dann hast du das gesamt konzept, das hinter “nachhaltiger entwicklung” steht noch nicht verstanden. daher bist du also dort ganz gut aufgehoben und kannst noch viel lernen.
- die usa und china sind doch nicht aufgrund der costaricanischen wirtschaft in dem land aktiv. außer ein paar ananas und 2 stränden hat das land wirtschaftlich nichts zu bieten - für fischfanggründe ist es vielleicht noch interessant. aber den beiden geht es doch nur um die strategisch wichtige lage costa ricas und für die usa noch darum, dass costa rica tatsächlich politisch stabil und in den letzten jahrzehnten halbwegs verlässlich war.
- ansonsten hat meine vorrednerin malina an sich schon alles dazu gesagt…

Kommentar von: Maurice [Besucher]

Ich finde es ja gut das Kritik auf diesen Blog kommt. So etwas in der Art habe ich auch erwartet. Es ist ja auch nur ein Blog-Eintrag und keine wissenschaftlich unanfechtbare Doktorarbeit.

Ich wollte auch kein Bild von Costa Rica zeichnen, das dieses Land als das Paradies darstellt und habe auch nicht behauptet das hier alle reich sind, deswegen hab ich auch ein Bild von einem Obdachlosen mit eingefügt.

Dass das durchschnittliche BIP kein exakter Maßstab für den Wohlstand eines Staates ist, ist mir natürlich bewusst, deshalb steht in meinem Blog auch “in etwa” davor. Mir wäre aber nicht bewusst das es mittlerweile einen neuen Wert dafür gibt der den “Wohlstandsfaktor” besser abbildet, oder etwa doch?

Wo ich leider überhaupt nicht zustimmen kann ist, dass dieses Land “außer ein paar Ananas und zwei Stränden” nichts zu bieten hat. Costa Rica ist schon lange kein typisches Agrarland mehr. Der Anteil an den traditionellen Landwirtschaftlichen Produkten macht gerade mal noch 12% der Gesamt-Exporte aus. Tourismus ist natürlich wichtig bzw. das Wichtigste, das hatte ich ja auch schon geschrieben. Aber man darf auch nicht unterschlagen das z.B die Produktion von Mikrochips ca. 25% der Exporterlöse ausmacht und damit längst bedeutender ist als der Agrarsektor.
Zusätzlich stellt das Land medizinische Produkte und Plastikprodukte her. Auch das Wirtschaftswachstum, das in den letzen beiden Jahren über 4% lag, ist nicht gerade typisch für ein Land das nicht viel zu bieten hat.

Folgendes ist meine persönliche Meinung:
Ich denke, dass Costa Rica ein relativ weit entwickeltes Land ist, das in den letzten Jahrzehnten rasche Schritte vom Agrarstaat zu einem HighTech-Land unternommen hat. Was Costa Rica im Vergleich zu Deutschland (rein wirtschaftlich gesehen) vielleicht fehlt, sind die klassischen Standbeine der Industriestaaten wie z.B. die Autoindustrie und der Maschienenbau.

@ Malina: Nein die Polizei hier scheint die Obdachlosen nicht brutal zu vertreiben, das Bild stammt aus San José unweit der Stadtmitte. Hier in der Region, in der ich arbeite, sieht man auch gelegentlich vereinzelte Obdachlose, doch scheint das selbst in den Touri-Hochburgen die Polizei wenig zu stören.


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