Partyleichen

von manali_12  

Mein zweiter Besuch in Las Vegas (oder auch Niviribotdä, wie der Ort in Ngäbe heißt.) begann wie der erste: Eine lange Anreise, deren motorisierter Teil mit einer ruckeligen Fahrt im Taxi colectivo endet (das diesmal jedoch mit über zehn Personen und den Einkäufen für ein besonderes Wochenende beladen war).

Dann ein langer Marsch durch die Dunkelheit (diesmal am Fluss entlang, der im Sommer (=Trockenzeit) der beliebtere, weil kürzere Weg ist, im Winter aber häufig zu viel Wasser führt, um mit Gepäck begehbar zu sein). Ein stark gesüßter Kaffee im Rancho vor Marcos' Haus.

Ich entscheide mich diesmal jedoch für eine Änderung im Programm und mache mich zum Schlafen auf den Weg nach oben ins ehemalige Schulhaus, bevor es samstagmorgens dann wieder wie beim ersten Besuch weitergeht: Süßer Kaffee, reichlich Frühstück, etwas spielen mit den Kindern, dann treffe ich mich mit den wichtigsten Mitgliedern des "Vereins für Soziales und Kultur" (Asociación sociocultural) des Dorfes unter dem Dach des neuen Gemeindehauses, dem immer noch die Wände fehlen.

Mit der Dorflehrerin Rugia, Marcos und seiner Schwester Rebecca, die außerdem noch in einem Frauenverein tätig ist, der Kunsthandwerk herstellt und verkauft, spreche ich über unsere weitere Zusammenarbeit. Über die Spenden, die ich für den Bau des Gemeindehauses sammeln konnte, über die Dokumente, die ich dafür benötige, über Rebeccas Kunsthandwerk. Darüber, dass ich nun im Schulhaus schlafe (was die Frauen überrascht und besorgt, weil es so etwa 50 Meter entfernt vom nächsten bewohnten Haus auf einem Hügel für ihre Begriffe zu einsam für mich alleine gelegen ist), und darüber, dass ich gerne Ngäbe lernen möchte.

Und während nebenan unter dem Dach des alten Gemeindehauses schon fleißig Vorbereitungen für den "Baile" (Tanz) getroffen werden, der am abend stattfindet, und während unserer Besprechung drei Hühner das Leben und ihre Federn lassen, geht unser Arbeitsgespräch nahtlos in eine erste Unterrichtsstunde über: "Mö dö ñaín?" - Möchtest du Chicha trinken? "Jon." - Ja. Gesagt - getan. Wir Frauen sind die ersten, die das Maisbier probieren, das nach 4 Tagen Gärung mit etwa 4% Alkohol angereichert ist. Marcos geht währenddessen Blätter schneiden, in denen das Hühnerfleisch, gemeinsam mit einer Masse aus Maismehl, Fett und Gewürzen, sowie Reis und Gemüse später zu sogenannten "Tamales" gewickelt wird. Sie werden in kochendem Wasser gegart und im Laufe des Abends verkauft.

Der Baile findet dann am Abend in der Baustelle des neuen Gemeindehauses statt. Eine Hauptattraktion sind wohl zwei Glühbirnen und die Musikanlage, die der einige Meter entfernt brummende Generator antreibt. Dieses Equipment wurde kurz nach Einbruch der Dunkelheit auf Pferderücken herbeigetragen und im Schein von Taschenlampen installiert. Viel später, nachdem schon reichlich Chicha geflossen ist, wird dann auch Cumbia, Salsa, und Merengue getanzt. Die Chicha ist wohl die zweite Attraktion des Festes, sogar aus anderen, weit entfernten Dörfern, sind einige Leute angereist, um mitzufeiern. Ich halte mich dezent zurück, beobachte, dass die Frauen kaum selbst Alkohol kaufen und trinke nur zweimal einen Becher, als ich von Gesprächspartnern dazu eingeladen werde, möchte schließlich nicht unhöflich sein. Ich weiß aber auch, dass ich auffalle, dass ich, auch wenn die meisten Dorfbewohner kaum mehr als einsilbig mit mir kommunizieren, und die Kinder die einzigen sind, die ihre Schüchternheit mir gegenüber schon abgelegt haben, beobachtet werde. Und schon werde ich zu meiner Gastmutter in die Küche gerufen, wo sie mich freundlich und besorgt zugleich vor der Chicha und den beiden Männern warnt, die versuchen würden, mich betrunken zu machen. Ich hatte zwar ohnehin nicht vor, mehr zu trinken, bin Cecilia aber sehr dankbar für den offenen Hinweis und fühle mich durch ihre Aufmerksamkeit angenehm beschützt. Wenig später, so etwa gegen 23h, gehe ich, müde, aber auch um nicht noch mehr Fehler zu machen, schlafen.

Doch als ich morgens um 5.30h zum ersten Mal die Augen öffne, weil ich irgendwo im Dorf ein Schwein schreien höre, spielt die Musik immer noch. Das Fest scheint kein Ende zu nehmen, der Sau dagegen bleiben nur noch wenige Stunden. Marcos sitzt müde im Rancho vor seinem Haus, hat nicht geschlafen, und auch jetzt keine Zeit dafür: Gleich nach dem Frühstück gehen die Vorbereitungen für das Fußballturnier los. Das Schwein muss - sobald es geschlachtet ist, schließlich auch noch zubereitet werden, und die Frauen machen sich wie am Vortag früh auf den Weg in die Küche des alten Gemeindehauses. Doch nicht nur das Tier bezahlt einen hohen Preis für so viel Feierei: Nicht alle Dorfbewohner sind so fleißig wie die Frauen oder so zäh wie Marcos - oder vielleicht haben andere auch einfach mehr getrunken. An verschiedenen Stellen im Dorf sieht man die Partyleichen herumliegen, die den Nachhauseweg nicht geschafft haben, und nun - zum Beispiel im Garten eines anderen, oder neben einer der zahlreichen Wellblechhütten, die ein Plumpsklo beherbergt und einen dezenten Geruch nach Exkrementen verströmt - ihren Rausch ausschlafen.

Allerdings bleibt nicht viel Zeit: schon bald treffen die Gäste ein, die Mann- und Frauschaften, die aus mehreren umliegenden Dörfern anreisen, um ein Fußballturnier zu veranstalten, und es werden alle jungen Leute gebraucht, um möglichst viele komplette Mannschaften aufstellen zu können.

Es überrascht mich an diesem Sonntagmittag nicht, das die Mannschaft von Las Vegas ihr Spiel nicht gewinnt. Es verwundert mich eher, mit wie viel Einsatz die Männer nach einer durchzechten Nacht in der Mittagshitze auf dem Fußballplatz hin- und hersprinten. Auch das Frauenteam von Las Vegas gibt keinen Ball verloren und wird für sein faires und talentiertes Spiel mit dem Sieg belohnt.

Nachdem das Turnier vorüber ist, nachdem nach vier Partien schließlich allen die Lust am Spielen oder zusehen vergangen ist, und die Dunkelheit sich über das Dorf legt,...

...nein, nicht über das ganze Dorf, denn neben dem Gemeindehaus wird erneut der Generator angeschaltet und der Baile geht weiter, bis gegen Mitternacht die allerletzten Energiereserven vertanzt sind. Montagsfrüh fahre ich mit wenig erledigter Arbeit, aber mit vielen neuen Eindrücken, wieder zurück dorthin, wo Glühbirnen, Musik und Alkohol tagtäglich für jeden, der möchte, unbegrenzt verfügbar sind.

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