Fast schon ein Gott: José Merino del Río

von miriam_12  

Der 8. Oktober war ein trauriger Tag für alle Mitglieder der kleinen linken Partei „Frente Amplio“. Ihr Mitgründer, Präsident und größter Kämpfer José Merino del Río ist im Krankenhaus in Kuba gestorben. Er hatte Krebs gehabt. 1949 in Spanien geboren, wanderte er 1970 nach Costa Rica aus und schloss sich linken Bewegungen an. Interessant ist für mich, wie mit seinem Tod umgegangen wird.

Am 28. Oktober war die landesweite Gedenkfeier für den „gefallenen Helden“. Beim Betreten der Halle fielen sofort riesige gelbe Banner ins Auge. Unter dem Schriftzug „Merino lebt, der Kampf geht weiter“ hing der Kopf von José Merino neben denen von Che Guevara und anderen linken Berühmtheiten.


Gedenkfeier bei Fedeagua

Dahinter fanden sich Stuhlreihen und eine Bühne. Zettel mit dem Programm wurden verteilt. Darauf steht wortgetreu, was die Leute auf der Bühne vortrugen: eine Weisheit eines Indigenen, ein Auszug aus Khalil Gibrans „Der Prophet“, religiöse Worte, eine kleine Reflexion dessen, was für ein großer Mann Merino war. Es endete mit einzelnen Sätzen über Merino, die vom Publikum jeweils mit lautem „Merino vive!“, teilweise auch hochgereckten Fäusten beantwortet wurden.

Auch wenn ich sehe, dass José Merino ein wichtiger Mann war – für die Partei, für die soziale Bewegung in Costa Rica – finde ich diese bedingungslose Verehrung und auch Verherrlichung gruselig. Pappschilder mit Bildern und Zitaten von Einstein oder Bob Marley stehen neben José Merino. Er wird fast schon verehrt wie eine Gottheit. Anschließend gab es noch viele kulturelle Darbietungen: verschiedenste Musiker, Mimen, ich weiß nicht genau was es noch alles gab. Denn es gab nicht nur die Bühne, sondern auch noch einen Bereich, wo man essen, an eine Wand schreiben oder sich einfach entspannen und unterhalten konnte. Nach diesem Programm, das mir Unbehagen bereitet hatte, habe ich mich lieber den Rest der Zeit dorthin zurückgezogen.

Doch damit sollte es natürlich noch nicht genug sein: Am folgenden Wochenende fanden in Guanacaste drei Homenajes der etwas anderen Art statt. Wilmar, der Merino sehr nahe gestanden hatte, Merinos Frau und Töchter sowie einige Künstler und andere Leute fuhren mit der Asche des Verstorbenen durch Guanacaste und hielten in Ostional, Abangades und Fedeagua Gedenkfeiern ab. Dafür musste natürlich alles perfekt vorbereitet werden – von tags vorher gebauten Blumenständern mit Gestecken aus den Pflanzen der Finca über genug Essen bis zur passenden Musik war alles vorhanden.

Diese Gedenkfeier in Fedeagua unterschied sich total von der in San José. Sie war kleiner, natürlich, und ich empfand sie als viel emotionaler. Die Familie von Merino saß an einem Tisch schräg vor den anderen Gästen. Ziemlich am Anfang wurde eine Originalrede von José Merino abgespielt und man sah, wie nahe das den Besuchern und allen voran den Töchtern. Im Programm wechselten sich Reden und Musik ab. Wir Volunteers konnten nicht die ganze Zeit teilnehmen, da wir uns auch mit William um das Essen kümmern mussten. Denn am Schluss gab es noch ein gemütliches Zusammensein bei Arroz con Pollo. Insgesamt schien die Idee, mit der Asche durch Guanacaste zu touren, sehr seltsam, aber die Gedenkfeier an sich war emotional und schön.

Ich frage mich, wie viel Einfluss Merino vor seinem Tod gehabt haben muss. Nach ebenjenem jedenfalls einen sehr großen. Die Zeitschrift von Frente Amplio veröffentlichte eine Sonderausgabe zu ihm. Jeder beteuert, im Namen von José Merino den Kampf für die soziale Sicherung und die Armen des Landes weiterzuführen. Unsere Finca hier heißt jetzt „Escuela de lideres y liderezas José Merino del Rio“.

Bei einer Versammlung von TECOCOS (Gesetz für Landrechte von Einwohnern in Küstengebieten), zufälligerweise 40 Tage nach dem 8. Oktober, wurden Kerzen angezündet und dem Toten gedacht. Fast jeder wollte seine kleine persönliche Geschichte mit oder zu Merino erzählen. Er nimmt eine unglaublich große Rolle und Vorbildfunktion ein. Ich weiß nicht, wie es vor seinem Tod war, aber jetzt kommt er mir wie ein treibender Faktor für alle Aktivisten vor. Dabei wird jedoch auch zur Verherrlichung geneigt. Ich frage mich, wie die Sicht auf diesen Mann in fünf, zehn oder fünfzig Jahren ist, wenn er jetzt schon so verehrt wird. Schon irgendwie eine gruselige Vorstellung, aber vielleicht haben wir Deutschen aufgrund unserer Geschichte einfach nur Scheu vor zu positiven Worten über Führungspersonen.

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