Eine Woche in Las Vegas und der Wunsch nach Ruhe an einem eigentlich sehr stillen Ort.

von manali_12  

In Las Vegas können die Kinder und Erwachsenen am Geräusch des Motors erkennen, ob gerade ein Traktor, ein Motorrad, ein Quad oder ein Auto das Dorf erreicht, und sie behaupten, sogar mit relativer Treffsicherheit vorauszusagen, wessen Auto es wohl sein wird (eine Behauptung, die ich nicht überprüfen konnte). Autos gelangen nur selten über den schlammigen Pfad, der etwa eine Stunde Fußmarsch von Santa Rosa entfernt ist, bis ins Dorf. Wer hierherkommt, kommt üblicherweise zu Fuß oder auf dem Rücken eines Pferdes.

Die Geräusche, die einen umgeben sind Geräusche der Natur, das Klopfen eines Spechts, das Grunzen eines Schweins oder ein krähender Hahn, vielleicht Kinderlachen. Selten mal brummt ein Generator, wenn Benzin vorhanden ist, und dennoch hab ich mich in den zehn Tagen meines letzten Aufenthaltes gelegentlich nach Ruhe gesehnt.

Wie üblich schlafe ich im Haus von Marcos und Cecilia und deren sechs Kindern, wie üblich rückt die Familie eng zusammen und überlässt eines ihrer drei Schlafzimmer mir allein, während sich die restlichen acht Personen die beiden weiteren Räume teilen. Neu ist, dass es im neuen Haus komplette Wände gibt, aus Holzbrettern, mit Zwischenräumen, aber immerhim ohne faustgroße Löcher, auch nach Außen hin. Gleichgeblieben ist, dass die einzige verschließbare Tür des Hauses die Eingangstür in der Außenwand ist, und die Tür des neuen Hauses verfügt sogar über Schloss, Klinke und Schlüssel.

Gleichgeblieben ist auch, dass es die Kinder sind, die mich am fröhlichsten begrüßen und am meisten zu meiner Einbindung in die Dorfgemeinschaft beitragen. Auch das batteriebetriebene Radio, das abgesehen von reisenden Dorfbewohnern und den unregelmäßigen Kontakten zur Außenwelt über Handy eine der wenigen Informationsquellen für die Leute im Dorf ist, kenne ich schon. In den Genuss, zehn Tage lang jede Nacht vom Einschlafen bis zum Aufwachen Sendungen eines christlichen Radiosenders aus Panama zu hören, war ich bisher allerdings noch nicht gekommen. Es zehrte an meinen Nerven.

Ich glaube nicht an Gott, habe nie an Gott geglaubt und werde damit, so vermute ich in diesem Moment, auch für den Rest meines Lebens nicht anfangen. Für meine Gastmutter aber sind regelmäßige Ausflüge zu Gottesdiensten in umliegenden Dörfern neben Fußball eine der wenigen Abwechslungsmöglichkeiten im Alltag, denen sie mit Begeisterung nachgeht. Aus Höflichkeit und Neugier besuchte ich im Oktober bei meinem ersten Besuch in Las Vegas gemeinsam mit ihr und den Kindern Sonntagsmorgens die Kirche. Was ich dort sah, war für mich erschreckend. Es beschwor in mir Bilder herauf, von denen ich glaube, sie in Filmen über die Missionierung Südamerikas gesehen zu haben. Mit einem bedrückten Gefühl verließ ich damals den Gottesdienst und beschloss, dass ich nur dann wieder an einem teilnehmen würde, wenn es unvermeidbar wäre.

Den nächtlichen Predigten im Radio zu entkommen, erschien mir unmöglich. Wie sollte ich mich einer Familie gegenüber, die mir stets viel Entgegenkommen zeigt, so respektos gegenüber treten?

Die halbdurchwachten Nächte und die Tage, an denen mich die neugierigen und hilfsbereiten Kinder zum Wäschewaschen ebenso begleiteten wie zum täglichen Bad mit Klamotten im Fluss, diese Tage, an denen man nichts anfassen kann, ohne dass danach nicht noch mindestens ein Augenpaar und zwei Hände neugierig begutachten, was man eben in der Hand hielt, an denen man ohne ein 'Wohin gehst du?' nicht einmal den Weg zum Klo antreten kann, wo man schließlich, endlich, ein paar angenehme Momente der Stille verbringt, diese ruhelosen Tage und halbdurchwachten Nächte haben an meiner Geduld gezehrt und einmal kostete es mich Mühe, die Kinder nicht im gleichen, von mir als herrisch empfundenen Tonfall anzusprechen, den ihre Mütter verwenden, sondern meine Ruhe und Freundlichkeit zu bewahren.

Die Einladungen Cecilias zu verschiedenen Gottesdiensten, zu denen sie, immer begleitet von einigen ihrer Kinder und immer fein herausgeputzt, im Laufe der Woche verschiedene Dörfer in der Umgebung besuchte, habe ich stets freundlich abgelehnt. Ich habe freundlich erklärt, dass meine Eltern mich ohne Kirchbesuche großgezogen haben, und ich üblicherweise keine Gottesdienste besuche. Schwer genug erscheint es mir, diese Position in Las Vegas zu vertreten. Der Umgang der Menschen miteinander ist so respektvoll wie ich es selten anderswo erlebt habe. Widerspruch wird so höflich formuliert, dass er manchmal kaum zu erkennen ist. Ich halte es nicht für mein Recht, Kritik an der Lebens- oder Denkweise der Dorfbewohner zu üben, und ich fürchte, ich würde auch nicht die passenden Worte finden, um sie zum nachdenken zu bringen über das, was die Kirche mit ihnen anstellt. So schweige ich, auch wenn es mir schwerfällt, in den Momenten, wenn Cecilia nach dem Gottesdienst von Kindern erzählt, die von Gott in Besitz genommen wurden (oder besessen sind?) oder berichtet: "Der Pfarrer hat gesagt, es ist Sünde, beim Beten die Augen zu öffnen."

Beim nächsten Besuch habe ich aber definitiv Ohropax dabei, um zumindest dem Radio zu entgehen.


Weiterlesen zum Thema: In God we trust, von Gustav

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