Ein Toter vor der Haustür

von miriam_12  

Letzte Woche Mittwoch saß ich gemütlich in der Küche und habe ein wenig Gitarre gespielt, als plötzlich mein Mitbewohner Lizandro kam: „Da draußen liegt ein Toter!“. Mit ein paar Nachfragen bekam ich heraus, was er gesehen hatte - ein geschrottetes Motorrad und ein toter Fahrer, daneben zwei Autos, die angehalten hatten.

Während ich mich dazu entschloss, mit ihm vor zur Straße zu gehen, hörte ich einen Krankenwagen vorbeifahren. Gott sei dank, auch wenn ich nach Lizandros Beschreibung nicht glaubte, dass da noch viel zu retten war.

Vor unserem Fincator hatte sich inzwischen eine lange Autoschlange gebildet. Die Menschen hatten ihre Gefährte verlassen und telefonierten mit den Angehörigen – und gingen fast alle Richtung Tatort. Dort, nur etwa zwanzig Meter von unserem Tor entfernt, hatte sich eine große Menschentraube gebildet.

Einige Menschen murrten, weil sie warten mussten, doch die meisten waren neugierig, den Toten zu sehen. Das kam mir sehr paradox vor und ich fragte mich, ob sie wohl alle versuchen würden, mit ihren Handys gute Aufnahmen zu machen und sie dann zu Hause stolz herumzuzeigen. Ich konnte dem jedoch nicht weiter nachgehen, da die Hunde mit uns zur Straße gekommen waren. Sie waren ohnehin schon nervös und wären mir mit Sicherheit gefolgt – das wollte ich auf keinen Fall.

So ging ich zurück und half, noch immer mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, William beim Übersetzen einer Email. Mit einem Mal klopfte es aufgeregt an der Bürotür. Seine Frau hatte mitbekommen, das etwas passiert war. Nach einer kurzen Zusammenfassung wurde sie ganz aufgeregt und wollte unbedingt rausgehen: „Ich habe noch nie einen Toten gesehen!“ Sie wirkte schon fast erfreut. William versuchte sie noch, vom Gegenteil zu überzeugen, aber ließ sich dann darauf ein, mitzukommen.

Das finde ich echt verrückt, dass die Leute so sensationsgeil sind. Aber auch im Fernsehen sieht man immer die Unfalltoten, Mordopfer oder Mörder abgebildet. Anfangs hatte mich das sehr irritiert – in Deutschland würde man das schließlich nie machen.

Was nun wirklich passiert war, weiß ich immer noch nicht. Lizandros Erstversion war, dass ein Auto mit dem Motorradfahrer zusammengestoßen ist und dann Fahrerflucht begangen hat. Später hörte ich Gerüchte, dass zwei Motorradfahrer sich ein Rennen geliefert haben. In der Zeitung stand dasselbe mit dem Zusatz, dass angeblich noch ein Auto drübergefahren sein sollte. Angesichts der landestypischen Übertreibung halte ich alles für möglich.

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2 Kommentare

Kommentar von: manali [Besucher]

Manchmal hat man bei den Bildern der Sensationspresse den Eindruck, die lassen die Toten extra so lange liegen, bis jeder, der möchte, ein Foto gemacht und auch der letzte drittklassige Journalist vorbeikommen konnte und einen eigenen Blick aufs Opfer geworfen hat.
Und die Fernsehnachrichten sind voll von Fußballergebnissen, angefahrenen Stinktieren* mit Not-OPs (*das Tier wollte leider anonym bleiben, daher habe ich seine Art geändert, nein, ich war so entsetzt über die Nachricht zur Hauptnachrichtenzeit im Fernsehen, dass ich mich nicht mehr erinnere welcher Art es war), und - in der Vorweihnachtszeit besonders beliebt - alten, kranken Leuten, die kein Geld für essen haben, und deswegen (möglicherweise, um die Qual zu vergößern?) Mikrowellen (zur Nahrungszubereitung? Was bereite ich zu, wenn mir das Geld für Nahrung fehlt?) und ähnliche Haushaltsgeräte und/oder Häuser geschenkt bekommen. Ich hoffe, dass es Lebkuchenhäuser sind, und wünsche mir, dass der Syrienkonflikt und ähnliche Probleme mit gravierenden weltweiten Auswirkungen tatsächlich so wenig existieren wie sie hier nachrichtenrelevant sind.
Je länger ich hier bin, desto weniger schaue ich Nachrichten.

Kommentar von: Sarah [Besucher]

Also dass die Leute so neugierig sind, überrascht mich eigentlich nicht besonders. Hier in Deutschland ist das ja nicht anders. Bei einem Unfall kann schnell ein zweiter passieren und zwar nur, weil die Leute sensationsgeil sind und unbedingt sehen wollen, was passiert ist und dabei nicht mehr auf die Straße achten. Ich glaub, bei uns ist es halt der Anstand, der uns nicht aussteigen lässt, weil man dann halt als sensationsgeil oder ähnliches hingestellt wird. Gut, bei uns kommt es nicht in den Nachrichten. Aber ich denke, das hat halt glaub ich zumindest was mit unseren Gesetzen und unseren Privatsphärevorstellungen zu tun, aber nicht damit, dass wir nicht sensationsgeil wären.

Eure Berichte von der Nachrichtenerstattung finde ich aber sehr schade! Traurig, wenn man nichts vom Rest der Welt mitbekommen kann, weil es einfach nicht in den Nachrichten kommt.
Und opfer und Mörder in den Nachrichten zu sehen, auch wenn ich wie gesagt glaube, dass das viele eigentlich insgeheim nicht so schlimm fänden, fände ich persönlich sehr ungewohnt und komisch.


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